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Das Studium antiker Architektur um 1550 (SNF-Projekt 2013–2017)

Der Codex Destailleur D und sein Umfeld: Katalog und wissenschaftliche Erschliessung frühneuzeitlicher Bauaufnahmen antiker Monumente

Zusammenfassung

Ziel des Forschungsprojektes ist es, den Codex Destailleur D der Berliner Kunstbibliothek SMB (HDZ 4151, im Folgenden kurz: CDD) und die seinem Entstehungsumkreis zuzuordnenden Zeichnungen in anderen Sammlungen weltweit zu identifizieren, wissenschaftlich zu katalogisieren und somit der Archäologie und Kunst- bzw. Architekturgeschichte als grösste zusammenhängende Sammlung von Quellen zu heute überwiegend stark beschädigten oder gar verlorenen antiken Bauten zur Verfügung zu stellen sowie deren Entstehungsgeschichte, wissenschaftshistorischen und -theoretischen Voraussetzungen und Nachwirkungen monographisch darzustellen. Der nach seinem letzten Vorbesitzer, Hippolyte Destailleur, benannte Codex enthält minutiöse Zeichnungen überwiegend antiker sowie einiger zeitgenössischer Bauten und wurde von Bernd Kulawik bereits für seine Dissertation [Kulawik 2002] vorläufig katalogisiert. Dabei erwies sich, dass seine Entstehungszeit in das Rom der 1540er Jahre vorzuverlegen ist. Der CDD ist dabei aber als zentraler Teil einer weit grösseren Gruppe von Zeichnungen anzusehen, welche das Ergebnis einer umfangreichen, langfristigen und detailliert geplanten Vermessungskampagne sein muss. Da als Zeichner mehrere französischsprachige Handwerker identifiziert werden konnten, die in dieser Zeit vor allem am Neubau von St.Peter in Rom als Maurer und Zimmerleute beschäftigt waren, stellt sich die Frage, wer bei Planung und Organisation dieser Vermessungen federführend gewesen sein könnte. Aufgrund einer Reihe von Indizien, die bereits unter verschiedenen Gesichtspunkten auf internationalen Tagungen vorgestellt und diskutiert werden konnten, lautet die Arbeitshypothese des Projekts, dass die Accademia della Virtù die Auftraggeberin war: Hierbei handelte es sich um eine internationale Gruppe von Gelehrten verschiedener Fachrichtungen und Architekten, die — ausgehend von ihren Studien zur Übersetzung und Kommentierung Vitruvs — seit ca.1537 ein umfassendes Programm zur vollständigen Dokumentation der gesamten materiellen Kultur des antiken Rom entwickelte [Tolomei 1547]. Dieses Programm lässt sich durchaus als Umschreibung einer ‘Klassischen Archäologie der römischen Antike’ avant la lettre charakterisieren. Glaubte man in der Forschung bis in die 1980er Jahre noch, es sei — bis auf die Publikation eines Vitruvkommentars [Philandrier 1544] — nie realisiert worden, so zeigte sich inzwischen, dass zumindest einige der Vorarbeiten erhalten sind und dass diese den damaligen Zustand antiker Artefakte in einer Vollständigkeit und dokumentarischen Genauigkeit überliefern, die vor dem 19.Jahrhundert und teilweise sogar später nicht wieder erreicht wurde.

Ausgehend von der Arbeitshypothese sollen die wissenschaftshistorischen und methodologischen Voraussetzungen der Aufnahmeverfahren im CDD selbst sowie vor allem desAccademia-Projekts erschlossen werden. Dabei soll gezeigt werden, dass die Zeichnungen und anderen Arbeitsergebnisse sowie das hinter ihnen stehende Konzept wichtige, bisher in der Geschichte wissenschaftlicher historischer Methoden verschiedener Fächer weitgehend unbekannte, nichtsdestotrotz jedoch bedeutende Marksteine darstellen, die geeignet erscheinen, unser Verständnis der Antike ebenso wie jenes der wissenschaftlichen und architektonischen Antikenrezeption in und seit der Frühen Neuzeit zu verbessern. Dabei ist besonders erwähnenswert, dass die beiden hinsichtlich ihrer Antikenkenntnisse und ihres Einflusses auf spätere Generationen kaum zu überschätzenden Renaissance-Architekten Andrea Palladio und Jacopo Barozzi da Vignola vermutlich an den Vermessungskampagnen teilnahmen.