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Spielmann 1966

[Spielmann 1966] = Spielmann, Heinz: Andrea Palladio und die Antike. München: 1966.

Heinz Spielmann hat sich in seiner Studie zu Palladios Antikenzeichnungen [Spielmann 1966] mehrfach zum Codex Destailleur D geäußert und auf die grosse Ähnlichkeit einer Reihe von Darstellungen hingewiesen. Die dabei beobachteten Unterschiede dienen dem Verfasser vor allem als Beleg für die verschiedenen Interessen des Anonymus Destailleur bzw. Palladios, die bei ihren Vermessungen und Darstellungen leitend waren:

"Gegenüber den Rekonstruktionen der Zeitgenossen zeichnen sich diejenigen Palladios durch das vorherrschende Interesse an den Raumfolgen und den tektonischen Zusammenhängen einerseits, durch ein ausgeprägtes Desinteresse an den technischen Einrichtungen der Bäder andererseits aus. Besonders aufschlussreich ist in dieser Beziehung ein Vergleich von Palladios Zeichnungen mit denen des Anonymus Destailleur. Es fehlen gegenüber den ausführlichen Wiedergaben des letzteren nicht nur die Heizkanäle, Kellerräume, Treppenaufgänge, es finden sich auch keine Hinweise auf den Zweck der Säle und Nischen." [Spielmann 1966,  S. 69]

Demgemäss konzentriert sich Spielmann vor allem auf die Erläuterung der zwischen den Darstellungen -— und hier besonders: den Grundrissen — anzutreffenden Abweichungen, wobei er mehrfach die grössere Zuverlässigkeit des Codex Destailleur D hervorhebt. Der Umfang dieser Abweichungen lässt eine engere Beziehung zwischen beiden Zeichnern, eine Abhängigkeit voneinander oder von einer gemeinsamen Vorlage unwahrscheinlich erscheinen. Allerdings sprechen einige augenfällige Übereinstimmungen, die im Rahmen des Katalogs zu besprechen sind, dafür, dass Palladio und der Anonymus Destailleur zumindest gelegentlich gemeinsame Quellen benutzt haben dürften, die vielleicht aus dem Sangallo-Peruzzi-Umkreis stammten, jedoch heute als verloren gelten dürften: Dass der Berliner Codex bisher in der Palladio-Forschung praktisch keine Beachtung fand, indem er zu ausführlicheren vergleichenden Studien herangezogen worden wäre, liegt vermutlich nicht nur an dem deutlich geringeren Interesse, dass seine Antikenstudien bisher in der Forschung — im Vergleich zu seinen Aktivitäten als Architekt und Verfasser — fanden, sondern ebenso an der offensichtlich vorherrschenden Auffassung, Palladio habe seine römischen Antikenstudien weitgehend alleine bzw. selbständig realisiert. Dass dies schon aufgrund des Aufwands kaum denkbar erscheint, sei hier nur erwähnt. Nach allem, was wir von solchen Vermessungen wissen, fanden sie spätestens seit Beginn des 16. Jahrhunderts als längerfristige, gründlich vorbereitete Kampagnen unter Beteiligung einer jeweils grösseren Zahl von Mitarbeitern statt. Die Vermessung von Großbauten wie den Thermenanlagen durch einen Architekten allein mit 1–2 Gehilfen ist sicherlich kaum vorstellbar.

Leider konnten die Palladio-Zeichnungen des Royal Institute of British Architects in London noch nicht (Stand: September 2001)  eingesehen werden, da sie seit Herbst 1999 bis voraussichtlich Herbst 2001 wegen Umzugs der Sammlung und Neukatalogisierung nicht zugänglich waren: Es erhärtete sich aber im Laufe der Arbeit jedoch zunehmend der Verdacht, dass die Beziehungen zwischen den beiden Zeichnungsgruppen vermutlich doch enger sind, als von Spielmann vermutet (werden konnte): Es erscheint inzwischen denkbar, dass die wenigen frühen Zeugnisse der Antikenstudien Palladios, die sich als Originale erhalten haben und nicht nur durch — oft erst mit mehreren Jahrzehnten Verspätung entstandene — sorgfältig überarbeitete Reinzeichnungen der Werkstatt überliefert sind, in engem Zusammenhang mit dem Zeichnungen des Codex Destailleur D und seines Umkreises entstanden. Allein die zeitliche Nähe von Palladios längstem Romaufenthalt Anfang der 1540er Jahre zu dem hier vorgeschlagenen Entstehungszeitraum der Berliner Zeichnungen legt zumindest die Vermutung nahe, dass der norditalienische Architekt von der Kampagne zur Vermessung der bedeutendsten römischen Bauten Kenntnis erlangt und vielleicht sogar daran zeitweilig teilgenommen hat. Darüber hinaus zeigen einige Blätter auffallende Parallelen. Die genauere Untersuchung dieser interessanten Möglichkeit musste aufgrund der notwendigen Konzentration auf die St.-Peter-Zeichnungen des Codex Destailleur D einer späteren, eigenständigen Studie im Rahmen der abschliessenden Katalogisierung des Berliner Codex vorbehalten bleiben.