Eine Gruppe von Webdatenbanken
Eine Gruppe von Webdatenbanken zur Geschichte von St. Peter in Rom
Christof Thoenes, der heute leider nicht hier sein kann, hat schon 1978 (?) mit ironischem Unterton festgestellt, dass in der St.-Peter-Forschung die Zahl der publizierten Irrtümer schneller wachse als die Zahl der Publikationen. Da die Menge des veröffentlichten Materials und der daraus gewonnenen Erkenntnisse das Erinnerungsvermögen einzelner Personen übersteige, machten sich sogar Tendenzen des Vergessens bemerkbar, die zur wiederholten Publikation gleicher Einsichten oder längst widerlegter Irrtümer geführt hätten. Die der St.-Peter-Forschung fehlenden Arbeitsinstrumente hat Thoenes später folgendermaßen umrissen:
- eine kritische wissenschaftliche Bibliografie,
- vollständige Repertorien der schriftlichen und bildlichen Quellen,
- chronologische Schemata der Planungs- und Baugeschichte,
- Verzeichnisse von Personen, historischen Fachbegriffen und Ortsbezeich-nungen
- eine Zusammenstellung der Zeichnungen im einheitlichen Abbildungsmaß-stab
- eine Abfolge von grafischen Rekonstruktionen der verschiedenen Bauzu-stände, evtl. vrknüpft mit einer modernen Bauaufnahme
- usw. usf.
Thoenes war sich schon in den 1980er Jahren bewusst, dass diese Aufgaben nur mittels einer Datenbank zu lösen sein würden. Gleichzeitig hat er aber darauf hingewiesen, dass eine ungeeignete Konzeption dieser Datenbank statt zu einer Lösung des oben skizzierten Problems zu seiner Verschärfung führen könnte. Deshalb hat er die Notwendigkeit betont, die Strukturierung der Daten nicht nur nach mechanistisch-quantitativen Kriterien vorzunehmen. Wir hoffen, bei der Konzeption des hier vorzustellenden Projekts diesen Anregungen wie auch den berechtigten Vorbehalten Rechnung getragen zu haben, und möchten die daraus abgeleitete Struktur der Datenbank und ihre wichtigsten Eigenschaften zur Diskussion stellen.
Zunächst jedoch ein kurzer Überblick über die Geschichte von St. Peter:
Kurz nach 320 n. Chr. ließ der römische Kaiser Konstantin über dem Grab des Apostels Petrus, das sich gemäß christlicher Überlieferung auf einem Friedhof am Abhang des Vatikanischen Hügels in Rom befand, eine riesige fünfschiffige Basilika mit Atrium errichten. Der Bau lag unweit des neronianischen Circus, wo Petrus um 67/68 n. Chr. das Martyrium erlitten haben soll. Die Basilika gehörte spirituell und architektonisch zu den bedeutendsten Kirchen der Christenheit; im Mittelalter wurde sie mit verschiedenen Anbauten versehen und war für die nach Rom ziehenden Pilger die wichtigste Station. Um der Rolle der Päpste als Nachfolger des Apostels Petrus, dem Christus selber die Obhut über die Kirche anvertraut hatte, und als Stellvertreter Christi auf Erden einen imposanteren Ausdruck zu verleihen, ließ Papst Julius II. (1503-1513) von Bramante und anderen Pläne für einen Neubau ausarbeiten und diese seit 1506 ins Werk setzen. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde das Projekt unter der Leitung von Raffael, Antonio da Sangallo und besonders Michelangelo verändert und ein Zentralbau über dem Apostelgrab mit einer Haupt- und vier Nebenkuppeln errichtet. Die östlichen Teile der antiken Basilika blieben bestehen, bis Papst Paul V. (1605-1621) im Jahr 1605 beschloss, sie abtragen und an ihrer Stelle von Carlo Maderno das heutige Langhaus aufführen zu lassen. Die Innenausstattung der neuen Basilika, des größten sakralen Bauwerks des Abendlandes, war in den Grundzügen erst gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts vollendet, wurde aber in den folgenden Jahrhunderten immer wieder ergänzt und verändert.
Die in sehr grosser Zahl erhaltenen Zeichnungen und bildlichen Darstellungen von Entwürfen, Projekten, Modellen oder realisierten Teilen des Bauwerks, umfangreiche Bestände von Akten und anderen schriftlichen Zeugnissen sowie nicht zuletzt der Bau in seinem materiellen Bestand stellen ein bisher nur punktuell genutztes Material für die Erforschung der Planungs- und Baugeschichte der Basilika dar, das in seiner Vollständigkeit und Vielfältigkeit einmalig und dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist.
Die im modernen Sinne historische Erforschung der Planungs- und Baugeschichte von Neu-St.-Peter setzte um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Wiederentdeckung der frühen Entwürfe für den Neubau ein. Fast 500 Jahre nach der Grundsteinlegung von Neu-St.-Peter am 18. April 1506 steht nicht nur die Forschung vor den oben skizzierten Problemen, sondern es sind auch die Voraussetzungen zu deren Lösung gegeben. Die Entwicklung der Soft- und Hardware im zurückliegenden Jahrzehnt eröffnet die Möglichkeit, die bisherige St.-Peter-Forschung und ihre Materialien auf breiter Ebene zusammenzufassen und weiterzuführen sowie über das Internet verfügbar zu machen.
Die Genese von Neu-St.-Peter gehört sowohl architektur- und kunstgeschichtlich als auch rechts-, wirtschafts- und technikgeschichtlich zu den komplexesten Unternehmungen der frühen Neuzeit und stellt für diese Wissenschaften einen bedeutenden und zugleich sehr gut dokumentierten Forschungsgegenstand dar. Gleiches gilt für die Stadtgeschichte Roms und - wegen der vielen im Neubau verwendeten antiken Spolien - die Archäologie. Die Erforschung und Interpretation der Baugeschichte betrifft also die Gebiete verschiedenster historischer Disziplinen und ist daher zwingend als fächerübergreifend zu verstehen.
Ziel unseres Projektes soll es sein, die Materialien zur Geschichte von Neu-St.-Peter der Forschung über das Internet bereitzustellen und neue Beiträge aufzunehmen. Da eine Zusammenfassung aller Quellen sowie der Forschungsergebnisse in einer einzigen Datenbank wegen der Heterogenität des Materials und der zumeist spezialisierten Fragestellungen der Forschung nicht sinnvoll erscheint, soll ein Pool von untereinander vernetzten und zueinander kompatiblen Datenbanken geschaffen werden, welche jeweils einzelne Materialgruppen erfassen. Innerhalb dieses Datenbankenpools wird die Vernetzung von Datensätzen oder größeren Gruppen von Daten möglich sein. Außerdem lassen sich dank des modularen Konzepts jederzeit neue Datenbanken erstellen und einbinden. Einstweilen sind folgende Teildatenbanken geplant:
- eine Bibliographie der Forschungsliteratur mit Abstracts und evtl. Volltexten
- ein Verzeichnis der Archivalien der Fabbrica di San Pietro sowie weiterer Schriftquellen
- eine Bilddatenbank der Architekturdarstellungen, zu denen neben Zeichnungen, Stiche und Gemälden auch Modelle gehören
- eine (CAD-) Beschreibung des Bauwerks in seinen diversen historischen Zuständen (auf der Grundlage einer Bauaufnahme)
- ein Verzeichnis der Materialien und (künstlerischen) Objekte des Baus
- ein Katalog der Wasserzeichen und Papiere der erschlossenen Quellen
- eine Datenbank zu Personen und ihren Funktionen
In einer ungefähr zwei Jahre dauernden Vorbereitungs- und Planungsphase soll die Feinkonzeption der Datenbankstrukturen, der Vernetzung sowie der Arbeitsorganisation erstellt werden. Für die anschließende Realisierung wären international organisierte, fachspezifische Redaktionen für die administrative Betreuung der einzelnen Datenbanken zu bilden. Die Gesamtleitung könnte ein Gremium von Vertretern dieser Redaktionen übernehmen, das von einem wissenschaftlichen Beirat unterstützt wird.
Als grundlegend für die Realisierung des Projektes wird die Verwendung freier, sogenannter Open Source Software angesehen, da ein derart umfangreiches und auf langfristige Realisierung angelegtes Projekt sich nicht in die Abhängigkeit von kommerziellen Herstellern begeben darf. Für die Programmierung von Speziallösungen könnten zwar kommerzielle Anbieter herangezogen werden, deren Arbeitsergebnisse müssen jedoch immer im Quellcode und uneingeschränkt zugänglich sein. Die GNU GPL bietet hierfür den geeigneten Rahmen.
Wesentliche Voraussetzungen für die Realisierung des Projektes sind die paritätische Beteiligung verschiedener über Quellenmaterial oder Forschungskapazitäten verfügender Institutionen sowie ein dezentralisierter Aufbau des entstehenden Forschungsnetzwerks. Anzustreben ist die Anbindung der einzelnen Datenbanken an jeweils eine der beteiligten Institutionen, weil auf diese Weise das umfangreiche Datenmaterial (z.B. digitalisierte Faksimiles von Bildern, Quellen oder Wasserzeichen) auf einzelne, räumlich voneinander entfernte Server verteilt ist und eine entsprechende fachspezifische Betreuung der einzelnen Datenbanken an Ort und Stelle erleichtert wird. Darüber hinaus erlaubt es die dezentralisierte, nach Inhalten gegliederte Struktur, mit der Erstellung einzelner Teildatenbanken beginnen zu können, sobald die Gesamtkonzeption erarbeitet und eine minimale Teilfinanzierung gewährleistet sind.
Nach der Prüfung verschiedener Möglichkeiten hat sich ein objektorientierter Ansatz als besonders geeignet (für die Umsetzung der geplanten Organisations- und Datenstrukturen) erwiesen. Denn objektorientierte Datenbank-Management-Systeme ermöglichen eine Abbildung hierarchischer Ordnungsprinzipien der zu erfassenden Gegenständen, die den Erwartungen der wissenschaftlichen Anwender entspricht und für diese daher leicht(er) nachzuvollziehen ist. Ein weiterer wichtiger Vorteil objektorientierter Datenbanken besteht darin, unterschiedlichste Datenobjekte untereinander verknüpfen und sie um neue Attribute erweitern zu können bzw. auf der Grundlage vorhandener Objekte neue zu kreieren.
Im Bereich der freien, quelloffenen Software für Content Management und Web Publishing erfüllt aus unserer Sicht das Z Object Publishing Environment, ZOPE, am besten die Forderungen nach vollständig webbasierter Benutzung und Administration der Datenbanken sowie dezentraler Datenhaltung. ZOPE enthält neben einem eigenen objektorientierten Datenbank-Managementsystem (ZODB - Z Object Data Base) und einem Webserver differenzierte Möglichkeiten zur Benutzerverwaltung, erlaubt die interaktive Erstellung von Webseiten und Dokumenten sowie eine Protokollierung sämtlicher Änderungen und die Wiederherstellung früherer Zustände. Als sog. Application Server ermöglicht ZOPE außerdem sowohl die Anbindung relationaler Datenbank-Manage-ment-Systeme an die dynamisch zu erstellenden Webseiten als auch die Erstellung von objektorientierten Datenbanken und die Verknüpfung beider Typen untereinander.
Wir meinen, ein Verbund objektorientierter Datenbanken sei ein flexibles und entwicklungsfähiges Forschungsinstrument, das einer als work in progress verstandenen Forschung am ehesten zu dienen vermag, weil es diese weder in inhaltlicher noch methodischer Hinsicht präjudiziert oder einengt. Ein Netzwerk von Daten und Datenbanken darf für seine Benutzer nicht zu einem hermeneutischen Fangnetz werden, in dem die interpretative Tätigkeit sich verstrickt und zum Erliegen kommt.