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GWG, Heidelberg, Paper (draft)

Wissenschaftliche Begriffsbildung im Kreis der Accademia della Virtù in Rom um 1550 [*]

Andreas Tönnesmann (1944 – 2014) in dankbarer Erinnerung gewidmet.

 

Title: The Origin of Scientific Notions in the Circle of the Roman Accademia della Virtù around 1550

Abstract:

Between c. 1537 and 1555 a group of humanists, clerics, architects and philologists known as the so-called Accademia della Virtù got together in Rome to work on a program which was formulated in a letter by the Sienese humanist Claudio Tolomei in 1542 and published in 1547. Starting out with the intention to understand the only surviving antique book on architecture and architectural theory – Vituvius' De architectura libri decem – the program describes a series of 24 books, 11 containing the classical text and its translation with commentaries, 13 books systematically illustrating and documenting all known and available material remains from Roman antiquity. This program for a scientific classical archaeology in a modern sense was not only intended to serve the intellectual curiosity of some humanist antiquarians but to help architects and their patrons to develop a new architecture of the same high quality as the idealized Roman examples. To achieve this practical as well as theoretical goal it was obviously necessary to re-create the antique vocabulary of architecture and its rules as well as to unify the contemporary usage of notions and norms in a canon. The first results of this project seem to be the In decem Libros M. Vitruvii Pollionis de Architectura Annotationes by Guillaume Philandrier (Rome, 1544) – up to this day a very valuable explanation of ambiguous parts in the Vitruvian text. Until the 1980s, it was believed that this book was the only outcome of the ambitious project; but then two codices of drawings after antique reliefs were identified as preparations for one of the other 23 volumes – and, because of their systematic approach, regarded as the 'first systematic archaeological book'. Now it seems that there are some other corpora of manuscripts and drawings documenting antique artifacts that should be regarded as results of the Accademia's work, too, showing antique buildings, inscriptions and coins. Other results of the unfinished project may be the theoretical and practical works of the two most influencial architects of the 16th century: Jacopo Barozzi da Vignola and Andrea Palladio.

Keywords: archaeology, antiquity, architecture, philology, renaissance, vitruvianism

Schlüsselwörter: Archäologie, Antike, Architektur, Philologie, Renaissance, Vitruvianismus

1. Ausgangslage und Fragestellung

In den 1540er Jahren versammelte sich in Rom eine Gruppe von vielseitig interessierten Antiquaren und Humanisten, vorwiegend aus Kirchenkreisen, der in ihren wechselnden Konstellationen zeitweilig auch Architekten, Philologen, Rechtshistoriker u.v.a.m. angehörten. Sie formulierte unter dem Namen Accademia della Virtù[1], die sich anfangs mit antiker und moderner lateinischer und italienischer Literatur befasste, ein Programm zum Studium der antiken römischen Kultur, welches durch einen bereits 1547 im Druck erschienenen Brief des Sieneser Humanisten Claudio Tolomei aus dem Jahre 1542 erhalten ist.[2] Ausgehend von dem Bestreben, die Zehn Bücher über die Architektur (De architectura libri decem) des augusteischen Autors Vitruv – das einzige erhaltene Werk zu Theorie und Praxis der antiken Architektur – besser zu verstehen, wird in dem Brief ein sehr klares Programm nicht nur zur wissenschaftlich-philologischen Edition und Aufbereitung dieses Textes vorgestellt, sondern zugleich vorgeschlagen, zu dessen Erläuterung nahezu alle für das Verständnis antiker Architektur und der sie umgebenden Kultur als notwendig erachteten Artefakte zu erfassen und zu dokumentieren. Dieses – aus späterer Sicht sehr anspruchsvoll erscheinende – Vorhaben kann sicherlich als ein frühes, wenn nicht das früheste Programm einer klassischen Archäologie der (römischen) Antike bezeichnet werden, diente jedoch nicht nur den selbst gesetzten Zielen und Interessen einiger gelehrter Antiquare mit humanistischen Interessen, sondern verfolgte explizit das Ziel, mit seinen Ergebnissen zeitgenössischen Architekten und Bauherren eine solide Grundlage für eine neue, auf der als vorbildhaft empfundenen Antike basierende Architektur an die Hand zu geben. Als zentrale Voraussetzung hierfür wurde ein besseres Verständnis des vitruvianischen Textes angesehen, das nicht nur durch die Fremdheit und oft sogar Unklarheit der lateinischen, sondern ebenso der häufig von Vitruv verwendeten griechischen Begriffe erschwert wurde – sowie durch ein sich gerade erst in Auseinandersetzung mit der Antike aus dem praktischen Vokabular der zeitgenössischen Architektur entwickelndes und längst noch nicht feststehendes System der Begriffe und Regeln der Architektur allgemein: Hierzu war also 'Arbeit am Begriff' in mehrfacher Hinsicht zu leisten: die Klärung der antiken Begriffe, die Klärung und ggf. Schaffung einer zeitgenössischen Begrifflichkeit sowie die Klärung der möglichen Beziehung zwischen beiden Begriffs- und Regelsystemen – die zweifellos nicht als kongruent anzunehmende Mengen darstellen – und dieser zur architektonischen Realität und Praxis.

2. Ansätze zur Realisierung des Accademia-Programms

1544 erschienen die Annotationes des Accademia-Mitgliedes Guillaume Philandrier[3], ein Kommentar zu den schwer verständlichen Stellen Vitruvs, der dem im genannten Programm an erster Stelle stehenden Buch entspricht und bis heute als grundlegender Schritt in Richtung einer solchen Begriffsklärung angesehen werden kann. Jedoch schien es bis in die 1980er Jahre, dass die weitere Arbeit der Accademia keine nennenswerten Ergebnisse hervorgebracht hätte: Erst die Identifikation der Codices Coburgensis (Veste Coburg) und Pighianus (Staatsbibliothek Berlin) als Vorarbeiten zu jenem Band des Projekts[4], in welchem Reliefs und Sarkophage dokumentiert werden sollten, gab Anlass zu der Vermutung, dass sich die Aktivität der Accademia nicht nur zeitlich über die Publikation Philandriers hinaus erstreckt hatte, sondern weitere, bisher jedoch nicht als solche identifizierte Ergebnisse erreicht worden und sogar bis heute erhalten geblieben sein könnten. Hierzu dürfte eine sehr große Gruppe extrem genauer und detailgetreuer Vermessungen antiker römischer Bauten ebenso zählen wie die als Grundstein des 1853 von Theodor Mommsen begründeten Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL)[5] benutzten Sammlungen lateinischer Inschriften durch Jean Matal[6] in der Vatikanischen Bibliothek, die unter Mitwirkung eines Netzwerks von Gelehrten entstanden, welche größtenteils als Mitglieder der Accademia angesehen werden können. Aber auch für den kaiserlichen Antikenhändler Jacopo Strada, der über 6.000, heute überwiegend in Gotha aufbewahrte Umzeichnungen antiker Münzen und Medaillen anfertigte bzw. deren Anfertigung beaufsichtigte, sind enge Kontakte zu führenden Mitgliedern der Accademia nachgewiesen, womit es denkbar erscheint, dass seine Arbeiten ebenfalls der Anregung dieses Gelehrtenkreises zu verdanken sind.[7] Daneben finden sich Personen aus dem Accademia-Umkreis unter den Unterstützern Marlianos, von dem die erste, wissenschaftlichen Anspruch erhebende Topographie[8] des antiken Rom stammt.

Versucht man zu rekonstruieren, wer mit wem zwischen ca. 1535 und 1555 in Rom engen Kontakt pflegte und sich dem Studium der Antike und dem Sammeln antiker Artefakte im Allgemeinen oder in einem spezifischen Bereich widmete, so kommt man auf ein Netzwerk, von ungefähr 50 Personen, von denen sich für die meisten eine zeitweilige Teilnahme an den recht regelmäßig stattfindenden Treffen der Accademia oder aber zumindest ein enger Kontakt mit deren Mitgliedern nachweisen lässt. Pirro Ligorio, der über 40, bis heute nicht vollständig edierte Manuskripte mit Beschreibungen und Zeichnungen antiker Monumente und Abhandlungen über diese füllte, stand zwar in Kontakt mit vielen Akademikern, es scheint jedoch Differenzen gegeben zu haben hinsichtlich der wissenschaftlichen Verlässlichkeit seiner Arbeit, so dass man selbst diesen vielleicht berühmtesten Antiquar der Zeit nicht oder nur zeitweilig zum engeren Zirkel der Accademia wird zählen können.

Die Tätigkeit der Akademiker hinterließ jedoch nicht nur eine außerordentliche Vielzahl von Dokumenten, deren Zusammenhänge vermutlich noch kaum erkannt sind, sondern beeinflusste auch nachfolgende Generationen von Wissenschaftlern maßgeblich: Genannt sei hier als Beispiel nur Onofrio Panvinio, der im Dienste der Farnese mehrere Schriften zur Kultur des antiken Rom vorlegte, die noch heute als wissenschaftliche Meilensteine gelten dürfen. Er erwähnt ausdrücklich, dass er die Anregung zur dieser Beschäftigung Jean Matal verdankt. Matal hatte in Frankreich und Oberitalien u.a. bei Alciati Jura studiert und war von diesem zweifellos zu philologischer Arbeit mit den wichtigsten Quellentexten antiken Rechts als Grundlage moderner Rechtssprechung angeregt worden. Gemeinsam mit seinem Freund und Förderer Antonio Agustín bearbeitete er daher im Anschluss an sein Studium über mehrere Jahre die erhaltenen Handschriften des Corpus Iustinianus, bevor Agustín 1540 nach Rom an die Kurie berufen wurde. Während letzterer dort durch seine beruflichen Aufgaben gezwungen gewesen zu sein scheint, seine antiquarischen Studien zu reduzieren, widmete sich der als sein Sekretär angestellte Matal mit unglaublichem Fleiß der Sammlung und minutiösen Dokumentation antiker Inschriften. Erscheint es den wenigen Historikern, die sich überhaupt mit Matal und seinen erhaltenen Inschriftenkonvoluten beschäftigt haben, überwiegend rätselhaft, warum er und sein Mäzen in Rom ihr Interesse scheinbar so schlagartig gewechselt und ihre umfangreichen früheren Arbeiten kurz vor dem Abschluss unvollendet ließen[9], so dürfte die Erklärung hierfür in den neuen Kontakten der beiden zu den bereits in Rom tätigen Mitgliedern der Accademia liegen: Dies könnte sehr wohl erklären, dass die beiden – vermutlich die damals mit antikem Recht vertrautesten Personen in Rom – sich nun intensiv den antiken Inschriften zuwandten, für deren wissenschaftliche Dokumentation und Erschließung beide als Alciati-Schüler zweifellos die besten Voraussetzungen mitbrachten.

 

3. Wissenschaftliche Methodik des Programms und seiner Realisierung

Die auf insgesamt fünf Bände angelegten lexikographischen Erläuterungen und Übersichten zu Vitruv sowie die geplante Herausgabe einer italienischen Übersetzung und einer Version in verbessertem, an Cicero orientiertem Latein, setzen nicht nur eine umfassende Arbeit am Text sowie einen Vergleich aller erhaltenen bzw. erreichbaren Textfassungen voraus – einer der geplanten Bände sollte sich diesem widmen –, sondern vor allem auch eine Begriffsarbeit am antiken Text, für die man eine ähnlich ausgearbeitete Methodik annehmen muss, wie sie für die Erläuterung der anderen, antike Artefakte dokumentierenden Bände beschrieben wird: In diesen sollten alle Objekte mit ihren historischen und mythologischen Aspekten sowie in ihrer (kunst-) historischen Erscheinung beschrieben und erläutert werden. Für die Lokalisierung der antiken Bauten und ihre historische Einordnung war zudem ein Band mit Stadtplänen vorgesehen, in denen die urbane Entwicklung Roms nachgezeichnet werden sollte. Überträgt man die im Brief skizzierte Vorgehensweise also auf den im Zentrum des Projekts stehenden Umgang mit dem antiken Text selbst, so wird deutlich, dass man sich auch diesen als eine um die möglichst intensive Klärung der Begriffe Vitruvs und ihre bestmögliche Übertragung bemühte Arbeit vorzustellen haben wird. Unter 'Begriff' ist dabei jeder von Vitruv in offensichtlich systematischer Absicht benutzte, wiederkehrende Terminus zu verstehen, der ein erkennbares Konzept, eine Theorie oder Aspekte davon oder ein archiktonisches Werk bzw. dessen Elemente bezeichnet. Darauf deuten nicht zuletzt jene fünf Bücher des Accademia-Programms – nach meiner Zählung 5, 6 10, 11 und 12[10] –, welche vocabolari, also Wörterbücher, enthalten sollten, sondern auch die Funktion, die diesen im Gesamtprogramm zugedacht war.[11]

Dies mag verdeutlichen, dass mit dem Programm der Accademia della Virtù ein sehr systematischer Ansatz ausgearbeitet vorliegt, den man ohne Weiteres und mit wohl nur sehr wenigen methodischen und technischen Ergänzungen auch einem vergleichbaren wissenschaftlichen Projekt noch heute zugrunde legen könnte. Es erscheint daher nur allzu verständlich, dass die bisherige, jedoch oft auf einzelne Disziplinen beschränkte Forschung davon ausging, dieses ambitionierte Forschungsvorhaben sei nie über nennenswerte Ansätze hinaus gekommen. Tatsächlich handelt es sich bei dem, was Tolomei in seinem Brief beschreibt, jedoch nicht um ein Forschungs- sondern um ein Editionsprogramm, spricht er doch fortlaufend von 'libri', also Büchern, die man herauszugeben beabsichtige, jedoch nicht davon, dieses oder jenes Thema erst zu bearbeiten, um dann darauf aufbauend die Ergebnisse zu publizieren. Dies setzt also voraus, dass zumindest ein sehr grosser Teil der Arbeiten spätestens 1547, wenn nicht sogar schon 1542 abgeschlossen gewesen sein müsste. Darauf deutet auch der Umstand, dass Tolomei ausdrücklich betont, dieses Programm mit seinen 24 geplanten Büchern – davon vermutlich einige aufgrund der Materialfülle mehrbändig – könne dank der interdisziplinären, arbeitsteiligen Kooperation vieler Gelehrter in nur drei Jahren  realisiert und das heißt hier: durch Herausgabe der aufgezählten Bücher auch tatsächlich abgeschlossen werden! Es dürfte andererseits klar sein, dass hingegen die Sammlung und Aufbereitung des umfangreichen Materials und dessen anschließene Publikation keinesfalls in nur drei Jahren zu bewältigen gewesen wären. Tolomeis Liste ist also weniger als Ausdruck eines übertriebenen bis realitätsfernen Optimismus der Accademia hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit zu deuten, sondern vielmehr als Hinweis darauf, dass spätestens zum Zeitpunkt der Publikation des Briefes (1547) umfangreiche Vorarbeiten zur Realisierung des Projekts bereits vorgelegen haben müssen. Daher erscheint es bspw. auch legitim anzunehmen, dass Philandriers Ausgabe des gesamten vitruvianischen Textes mit einem Teil seiner eigenen Anmerkungen im Jahre 1550[12] vielleicht jenen Band repräsentiert, der als Ergebnis des Vergleichs aller erreichbaren Textfassungen erstellt werden sollte: Darauf deuten zumindest dessen Untertitel sowie derjenige der Neuauflage von 1552 hin. Eine entsprechende Prüfung erscheint als lohnenswert hinsichtlich der Kenntnis der Vitruv-Versionen in der Renaissance, wurde jedoch bis heute nicht vorgenommen.

Mit ähnlicher philologischer Gewissenhaftigkeit und modernen Ansprüchen an Transkription und Erläuterung durchaus schon sehr nahe kommend erstellte Jean Matal seine mehrere Bände umfassende Sammlung lateinischer Inschriften, die heute in der Biblioteca Apostolica Vaticana[13] aufbewahrt wird: Nicht nur versuchte er, jede Inschrift möglichst im Original selbst zu studieren und mit vorhandenen Editionen zu vergleichen, sondern dort, wo ihm dies nicht möglich war, verzeichnete er Herkunfts- und Aufbewahrungsort des Originals sowie ggf. den Autor der Transkription. Dabei zeigt sich nicht nur, dass Matal (und seinen Mit- bzw. Zuarbeitern) die Bedeutung der antiken Buchstabenformen als Hilfsmittel zur Datierung bewusst war, sondern dass sie auch auf die genaue Dokumentation des Erhaltungszustandes größten Wert legten und jegliche Rekonstruktion oder Ergänzung als solche klar vom erhaltenen Text zu unterscheiden suchten.

Und auch über die in der Berliner Kunstbibliothek im sog. Codex Destailleur D (Hdz 4151) und weiteren, demselben Entstehungszusammenhang zuzuordnenden Zeichnungsgruppen in Berlin selbst[14], in der Wiener Albertina[15], im New Yorker Metropolitan Museum of Art[16] und vermutlich im Stockholmer Nationalmuseum[17], in der St. Petersburger Eremitage sowie eventuell andernorts erhaltenen Bauaufnahmen lässt sich sagen, dass sie hinsichtlich der Vollständigkeit und Genauigkeit in der Vermessung der Bauten und ihrer architektonischen Details ebenso wie in Bezug auf ansonsten selten oder nie aufgenommene Bauteile wie Wasserreservoirs und -leitungen, Heizungssysteme oder Dachstühle keine zeitgenössischen Parallelen haben: Vergleichbare Standards wurden eigentlich erst im 19. Jahrhundert mit den – vor allem von Architekten – für die wissenschaftliche Archäologie angefertigten Bauaufnahmen erreicht, zu einer Zeit also, als viele der antiken Bauten, welche die Renaissance-Zeichner noch dokumentieren konnten, nur noch schlechter oder gar nicht mehr erhalten waren. Allein aus diesem Grund kommt dieser sehr umfangreichen Zeichnungsgruppe von aktuell ungefähr 500, oft sehr großformatigen Blättern mit über 3.000 Einzelzeichnungen eine Bedeutung zu, die als bisher nicht erkannt einzuschätzen ist. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass man bei den Vermessungen offensichtlich nicht von vorgefassten Meinungen über die Gestalt eines bestimmten Bauwerks oder gar von einer Rekonstruktion ausging – z.B. vom vermeintlich elliptischen Grundriss des Kolosseums, wie ihn noch später viele Vermessungen voraussetzten –, sondern das Vorhandene so genau wie möglich dokumentierte, um erst in einem zweiten Schritt daraus Erkenntnisse zur Rekonstruktion zu gewinnen. Dass dieses bemerkenswert methodische Vorgehen nicht von den Zeichnern selbst konzipiert und über mehrere Jahre (ca. 1542-1547) ohne Anleitung realisiert worden sein kann, da es sich bei diesen um einfache französische Handwerker (Steinmetze und Zimmerleute) handelte, die bei der Dombauhütte von St. Peter im Vatikan angestellt waren, scheint evident. Aber auch z.T. umfangreiche Notizen auf Französisch und französisch gefärbtem Italienisch, die sich offensichtlich an Fremde wenden um Missverständnisse zu vermeiden, deuten darauf hin, dass hinter diesen Vermessungen eine vermutlich gemischtsprachige, auf größte Genauigkeit und Vollständigkeit bedachte Gruppe von Auftraggebern stand. Im genannten Zeitraum und hinsichtlich der Zweisprachigkeit kommt hierfür nur die Accademia della Virtù in Frage, die laut Vasari diese Vermessungen durch den jungen Architekten Jacopo Barozzi da Vignola ausführen ließ: Er könnte somit als verantwortlicher Leiter dieser Gruppe von Vermessern fungiert haben.

 

4. Philologie als mögliche methodische Grundlage des Accademia-Programms

Da die Philologen die mit Abstand größte Gruppe unter den Mitgliedern der Accademia darstellten, kann also sicher angenommen werden, dass sie gemäß der in ihrem Fach bereits etablierten Methodik des genauen Dokumentierens, Vergleichens und – erst anschließend – vorsichtigen Rekonstruierens und Diskutierens von (Text-) Varianten nicht nur ebensolche Sorgfalt bei der Rekonstruktion der Architekturtheorie Vitruvs und ihrer Begriffe walten ließen, sondern Ähnliches auch von ihren Mitstreitern in deren Arbeitsfeldern erwarteten, da in diesen vergleichbare methodische Ansätze bis dahin kaum bekannt waren. Damit dürften die aus ihren Ergebnissen – deren Zusammenhänge vorerst noch hypothetisch sind und wohl nur in einem interdisziplinären Projekt wieder erschlossen werden können – und aus den wenigen Schilderungen der Diskussionen im Umkreis der Accademia rekonstruierbaren methodischen Grundlagen ihrer Arbeit zur Bildung von Begriffen und Regeln für – heute – verschiedene Disziplinen nur indirekt zu erschließen sein, denn entsprechende Quellen, die dies eindeutig belegen, konnten bisher nicht gefunden werden. Daher erscheint es bisher nur möglich, einen Indizienbeweis für die oben vermutete 'Arbeit am Begriff' – bzw. an Begriffen und Regelsystemen – zu führen. Den besten Einstieg hierzu bieten die genannten Schriften Philandriers: Obwohl die Annotationes von 1544 noch herkömmlichen Lexika oder Wörterbüchern der lateinischen Sprache verpflichtet zu sein scheinen, indem sie die schwierig zu interpretierenden Stellen Vergleichbarem aus anderen antiken Quellen gegenüber stellen, gehen sie doch zugleich methodisch darüber hinaus, weil Philandrier ausdrücklich auch zeitgenössische Fachleute (wie die Architekten der Sangallo-Familie) zitiert, die er konsultiert habe, und seinen Text mit erklärenden Illustrationen versieht. Allerdings erfordert diese Edition immer noch, dass der Leser eine vollständige Ausgabe des Textes zur Hand habe. Mit der Ausgabe von 1550 wird daher der logische Schritt vollzogen, den Annotationen nicht nur den vitruvianischen Text jeweils kapitelweise voran zu stellen, sondern dieser wurde zuvor durch Abgleich mit anderen, bereits vorliegenden Editionen selbst Gegenstand der wissenschaftlichen Kritik und Aufbereitung. Es ist bisher nicht bekannt bzw. untersucht worden, ob hierzu auch die älteren Manuskripte herangezogen wurden, auf die einige der Akademiker zweifellos Zugriff hatten. Dies lässt sich aber vermuten, da viele von ihnen sich intensiv um Zugang zu und Abschriften von Manuskripten anderer klassischer Texte bemühten.

Von einem frühneuzeitlichen, vermutlich sogar dem ersten Versuch, eine antike Theorie und deren Begriffe zu verstehen, wird man wohl kaum mehr an wissenschaftlicher Methodik erwarten dürfen. Tatsächlich sollte aber gerade auch das Studium der Inschriften sowie der Münzen und Medaillen helfen, architektonische und kulturelle bzw. gesellschaftliche Zusammenhänge im antiken Rom zu verstehen und für die Interpretation und Aktualisierung des vitruvianischen Textes nutzbar zu machen. Und aufgrund der Hinzuziehung zeitgenössischer Architekten, welche sich selbst intensiv mit antiker Architektur beschäftigten, diese ausgruben, vermaßen und sogar – auf dem Papier – rekonstruierten sowie den Text Vitruvs studierten[18], kann davon gesprochen werden, dass gerade in diesem frühen Fall eines Forschungs- und Editionsprogramms von einer folgerichtigen Vereinigung von theoretischer (Philologie) und praktischer Forschung (Archäologie, Architektur) gesprochen werden kann, welche zur Erreichung des Zieles als notwendig erachtet wurde. Es sei daran erinnert, dass laut Tolomei dieses Ziel nicht nur im bestmöglichen Verständnis des vitruvianischen Textes bestand, sondern dies Verständnis selbst wiederum nur als – notwendiger – Zwischenschritt zu einer neuen Theorie und damit auch Praxis der Architektur dienen sollte, die ihre Wurzeln in der vermeintlich besten damals bekannten architektonischen Theorie und Praxis haben musste: derjenigen der Antike.

 

5. Vermutliche Nachwirkungen des Accademia-Programms

In gewisser Weise kann man vielleicht sogar davon sprechen, dass dieses Ziel erreicht wurde: Giorgio Vasarai, der 'Vater der Kunstgeschichte', berichtet in einem Einschub in der Vita des Taddeo Zuccari über das Leben des Architekten Jacopo Barozzi da Vignola – mit dem er persönlich bekannt war und in Briefwechsel stand –, dieser habe als junger Mann in Rom im Dienste der Accademia "alle Antiken [Bauten] Roms vollständig vermessen" ("misurare interamente tutti gli anticaglie di Roma")[19]. Es darf angenommen werden, dass diese Tätigkeit – von der bisher keine direkten Spuren in Form autographer Zeichnungen Vignolas nachgewiesen werden konnte – den Grundstein für jene umfassende Kenntnis der antiken Architektur und ihrer 'Säulenordnungen' legte, ohne welche Vignolas spätere Regola delli cinque ordini d'architettura[20] schlicht nicht denkbar ist. Diese bildete bis weit in das 19. Jahrhundert hinein mit ihren über 500 immer wieder erweiterten und veränderten Nachdrucken die Grundlage der Architektenausbildung. Und: Es scheint schon in den 1540er Jahren einzelnen Architekten klar gewesen zu sein, dass sich weder aus Vitruvs Text noch aus der erhaltenen antiken Architektur ein einheitliches und verbindliches System der Säulenordnungen rekonstruieren ließ: Vignolas Entschluss, ein solches für den praktischen Gebrauch seiner Zeit auf der Basis seiner Antikenkenntnis und der besten antiken Beispiele selbst zu erstellen, entspricht damit nicht nur indirekt auch dem Vorhaben der Accademia.[21]

Aber möglicherweise hatte die Arbeit der Accademia auch noch weitere, eher praktische Folgen: Zwischen 1543 und 1546 weilte der humanistische Gelehrte und Architekturspezialist Giangiorgio Trissino in Rom, wo er zumindest gelegentlich an den Treffen der Accademia teilnahm. Begleitet wurde er vom jungen, begabten Steinmetz Andrea di Pietro della Gondola aus Vicenza, dessen Ausbildung zum Architekten Trissino tatkräftig – unter anderem auch durch dessen Beteiligung an umfangreichen Antikenstudien – unterstützte und der von diesem seinen Künstlernamen Palladio erhielt. Palladios Nachlass – heute in Vicenza und London – enthält eine Vielzahl von Vermessungen antiker Bauten, die überwiegend als Reinzeichnungen aus den letzten Lebensjahren Palladios erhalten sind, denen aber zweifellos Vermessungen zugrunde liegen müssen, die er eigentlich nur in diesen römischen Jahren angefertigt haben kann, da seine späteren Romaufenthalte sich jeweils nur auf wenige Wochen beschränkten. Diese Zeichnungen weisen nun nicht nur eine erstaunliche Nähe zu den bereits genannten des Berliner Codex Destailleur D (Hdz 4151) auf[22] – auch wenn konkrete Übereinstimmungen zwischen den palladianischen Reinzeichnungen und den zumeist skizzenhaften Bauaufnahmen in Berlin, Wien und andernorts noch nicht festgestellt werden konnten –, sondern wären also auch weitgehend zeitgleich entstanden. Stellt man zudem in Rechnung, dass Palladio die seinen Zeichnungen zugrundeliegenden Vermessungen unmöglich ohne Unterstützung durchgeführt haben kann, sondern dazu eines ganzen Messtrupps von Gehilfen bedurfte, den er oder Trissino aber wohl kaum allein finanzieren konnten, so scheint es zumindest nicht abwegig anzunehmen, dass Palladio an den Vermessungen im Dienste der Accademia teilgenommen haben könnte – zumal er zu dieser auch später noch in Kontakt stand und Inschriften für die Sammlung Matals mitteilte. In den 1550er Jahren wirkte Palladio dann an der kommentierten Vitruv-Ausgabe Daniele Barbaros mit, die zuerst auf Italienisch[23] und dann auf Latein[24] erschien – womit Barbaro im Prinzip also zwei Bände veröffentlichte, welche direkt dem Editionsprogramm der Accademia entsprechen. Vor allem aber übte Palladio durch seine, die Antike kreativ adaptierenden und noch jeden Klassizismus seither maßgeblich beeinflussenden Bauten sowie seine Quattro libri d'architettura[25], die eine eigene, sehr praxisbezogene Architektur-'Theorie' formulieren, einen Einfluss auf die westliche Architektur aus, der kaum überschätzt werden kann.[26] Es wäre also zu vermuten, dass auch diese bis in das 20. Jahrhundert reichende Wirkung Palladios ihre Grundlage in seiner profunden Antikenkenntnis und damit in den Antikenstudien der römischen Accademia della Virtù gehabt haben dürfte.

 

6. Notwendigkeit weiterer, interdisziplinärer Forschung

Dass eine Vielzahl von Personen – verteilt über die fast zwanzig Jahre des mehr oder weniger losen Fortbestands der Accademia dürften es deutlich über 50 gewesen sein – sich jahre- und gar jahrzehntelang in minutiöser Detailarbeit dem intensiven und – selbst nach modernen Kriterien: – wissenschaftlichen Studium der Antike mit einer sehr praktischen Zielsetzung widmete, sollte Anlass genug sein, die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht nur für die betroffenen Einzelwissenschaften neu zu erschließen[27], sondern sie gerade auch in ihrem ursprünglichen, heute würde man sagen: interdisziplinären Zusammenhang wieder der Forschung bereit zu stellen und neu zu interpretieren: Ich bin überzeugt, dass durch ein solches, heute wie damals nur in internationaler und interdisziplinärer Kooperation mögliches Projekt ein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist, der nicht nur unser Wissen über die Antike und ihre (zum großen Teil inzwischen ja wieder verlorenen) Relikte und über das Studium derselben in der Renaissance – eine der wesentlichen Wurzeln der modernen europäischen Kultur –, sondern ebenso und gerade auch über die frühe Geschichte der Wissenschaften im 16. Jahrhundert sowie deren Wurzeln und weitere Entwicklungen in ganz erheblichem Maße erweitern dürfte.

 

Anhang: Übersicht zum Publikationsprogramm der Accademia nach Tolomei[28] mit Verweis auf Werke beteiligter Autoren, die als Umsetzung desselben angesehen werden könn(t)en:

[1] Erläuterung der schwierigen Stellen bei Vitruv – Guillaume Philandrier, Gulielmi Philandri Castilionii Galli Civis Ro. in decem libros M. Vitruvii Pollionis de Architectura Annotationes, Rom: Andrea Dossena, 1544.

[2] Übersicht über die Abweichungen der erhaltenen Textfassungen – Guillaume Philandrier, M. Vitruvii Pollionis viri suae professionis peritissimi De Architectura libri X ad Augustum Caesarem accuratissime conscripti, locis quamplurimis hac editione emendati […], Strassburg: Knobloch, 1550. – Sowie: derselbe, M. Vitruvii Pollionis De Architectura Libri Decem ad Caesarem Augustum, omnibus omnium editionibus longè emendatiores, collatis veteribus exemplis, Lyon: Jean de Tournes, 1552.

[3] Edition der De architectura libri decem auf der Grundlage dieser Textvergleiche – dito.

[4] Rekonstruktion der verloren gegangenen Illustrationen zum Text Vitruvs – z.B. Palladios Illustrationen zu Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro, […], Venezia: Francesco Marcolini, 1556. [Lateinische Ausgabe: Venedig: 1567].

[5] Wörterbuch der lateinischen Begriffe Vitruvs – [verschollen?].

[6] Wörterbuch der griechischen Begriffe Vitruvs – [verschollen?].

[7] Lateinische Beschreibung der sprachlichen Eigenheiten Vitruvs – [verschollen?].

[8] Edition des vitruvianischen Textes in verbessertem Latein – [vermutlich nicht realisiert].

[9] Übersetzung Vitruvs ins Italienische – z.B.: Barbaro 1556 (s.o.).

[10] Italienisches Wörterbuch der architektonischen Fachbegriffe Vitruvs – [verschollen?]

[11] Italienisches Wörterbuch der im Text erwähnten Instrumente und Architekturdetails [verschollen?].

[12] Aufstellung der architektonischen Regeln mit antiken Vergleichsbeispielen – Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini di architettura, Rom: [ca. 1560]; Jean Bullant, Reigle generalle d'architecture des cinq manieres de colonnes. Paris: Marneft & Cavellat, 1568; Andrea Palladio, I quattro Libri dell'Architettura, Venezia: Franceschi, 1570.

[13] Rekonstruktion der urbanen Entwicklung Roms zur Lokalisierung der Bauten –Bartolomeo Marliani, Antiquae Romae Topographia libri septem, Rom: 1534; sowie viele Nachauflagen unter ähnlichem Titel, z.B. Lyon: 1534 mit Widmung Rabelais' an Jean du Bellay, wichtiges Mitglied der Accademia, und Rom: 1544 mit Widmung an François I., an den sich Tolomei wegen einer Förderung des Accademia-Projekt gewandt haben soll.

[14] Rekonstruktion aller antiken Bauten Roms sowie einiger außerhalb Roms in Grundriss, Aufriss und Schnitt mit antiken und modernen Maßen sowie historischen und architektonischen Erläuterungen – vorbereitende Vermessungen, darauf beruhende Rekonstruktionen u.a.m. in: Codex Destailleur D (Hdz 4151 = wichtigste Quelle innerhalb dieser Gruppe) und Codex Destailleur A (OZ 109) der Kunstbibliothek Berlin und zu diesem in Beziehung stehende Zeichnungen in Wien (Albertina), New York (Metropolitan Museum of Art) u.a.m.

[15] Darstellung aller Grabsteine mit historischen und mythologischen Erläuterungen – Codices Coburgensis (Veste Coburg) und Pighianus (Berlin, Staatsbibliothek), sowie teilweise die Codices Jean Matals in der Biblioteca Apostolica Vaticana (s.u.).

[16] Darstellung aller Statuen mit (auch stilgeschichtlichen) Erläuterungen – [verschollen?].

[17] Darstellung aller Reliefs und skulpturalen Friese mit Erläuterungen – Codices Coburgensis und Pighianus (s.o.).

[18] Darstellung einzelner architektonischer Details wie Türrahmen, Friese, Architrave etc. – Codex Destailleur D, Berlin, und Umkreis (s.o.), sowie vielleicht viele Einzelzeichnungen weltweit, die bisher keinem konkreten Entstehungszusammenhang zugeordnet wurden.

[19] Darstellung von Vasen u.ä. mit Erläuterungen zu Gestalt und Verwendung – [verschollen?].

[20] Darstellung religiöser, technischer, landwirtschaftlicher Instrumente – [verschollen?].

[21] Sammlung aller antiken Inschriften mit Erläuterungen – Codices Jean Matals in der BAV, Vat. lat. 6034, 6037–6040.

[22] Darstellung und Erläuterung aller Malereien inkl. Grotesken – [verschollen?].

[23] Darstellung aller Medaillen und Münzen (inkl. griechischer) mit Erläuterungen – Jacopo Strada, Epitome thesauri antiquitatum […] , Lyon: 1553, sowie Stradas Nachlass in Gotha.

[24] Rekonstruktion der Maschinen (nicht nur der bei Vitruv beschriebenen) – [verschollen?].

 

Anschrift des Verfassers: Dr. Bernd Kulawik, Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Luegetenstr. 11, CH-8840 Einsiedeln; bernd.kulawik@bibliothek-oechslin.ch



[*] Überarbeitete Fassung des am 30. Mai 2014 auf der 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte in Heidelberg gehaltenen Vortrags. Ich danke den Veranstaltern für die Gelegenheit, die weitgehend noch hypothetischen Überlegungen vor diesem interdisziplinären Publikum zur Diskussion stellen zu können.



[1] Der Name Accademia della Virtù (Akademie der Tugend) mag für eine Vereinigung literarisch und antiquarisch Interessierter seltsam erscheinen, jedoch waren solche,  möglichst außergewöhnlich klingenden Namen bei italienischen Akademien des 16. Jahrhunderts durchaus üblich: So nannte sich eine aus der Accademia della Virtù hervor gegangene Vereinigung antiquarisch Interessierter Accademia dello Sdegno (Akademie der Empörung) was sich auf die Empörung über den Umgang mit den Antiken in Rom beziehen könnte. Eine Akademie in Ferrara, die sich mit Dichtung und Musik befasste, nannte sich Accademia degli Intrepidi, Akademie der Furchtlosen. Zahlreiche weitere Beispiele wie Akademie der Lüchse, der Entflammten, der Verrückten, der Umherirrenden u.v.a.m. ließen sich anführen.

[2] Claudio Tolomei, Delle lettere di M. Claudio Tolomei libri sette. Venedig: Gabriele Gioliti de Ferrari, 1547, hier fol. 81 recto bis 85 recto.

[3] Guillaume Philandrier, Gulielmi Philandri Castilionii Galli Civis Ro. in decem libros M. Vitruvii Pollionis de Architectura Annotationes, Rom: Andrea Dossena, 1544.

[4] Richard Harprath, Henning Wrede (Hrsgg.), Der Codex Coburgensis. Das erste systematische Archäologiebuch – Römische Antiken-Nachzeichnungen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, Coburg: Kunstsammlungen der Veste Coburg, 1986; dieselben (Hrsgg.), Antikenzeichnung und Antikenstudium in Renaissance und Frühbarock. Akten des Internationalen Symposiums 8.-10. September 1986 in Coburg, Mainz: Zabern, 1989.

[5] Das im 19. Jahrhundert gegründete CIL wird heute an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften fortgeführt: http://cil.bbaw.de

[6] Zu Matal und seinem europaweiten Korrespondentennetzwerk vgl. die umfassende Biographie von: Peter Arnold Heuser, Jean Matal. Humanistischer Jurist und europäischer Friedensdenker (um 1517-1597), Köln/Weimar: Böhlau, 2003. – Die Matal zuzuordnenden Codices der Biblioteca Apostolica Vaticana sind (u.a.): Vat. lat. 6034, 6037–6040.

[7] Vgl.: Dirk Jansen, Strada's Antiquarian Interests. A Survey of his Musaeum and its purpose,  Xenia, Bd. 21 (1991), S. 59-67. Des weiteren: Volker Heenes, Jacopo Strada. Goldschmied und Maler, Antiken- und Münzhändler, Sammler und Antiquarius Caesareus, in: Dietrich Hakelberg, Ingo Wiwjorry (Hrsgg.), Vorwelten und Vorzeiten. Archäologie als Spiegel historischen Bewußtseins in der Frühen Neuzeit, (Wolfenbütteler Forschungen 24) Wiesbaden: Harassowitz, 2010, S. 295-310. – Volker Heenes und Dirk Jansen werden den riesigen Gothaer Bestand in den nächsten Jahren erstmals wissenschaftlich erschließen.

[8] Ioanne Bartholomæo Marliano, Topographia Antiquae Romae, Lyon: Seb. Gryphius, 1534 (hrsg. von Fr. Rabelais) sowie Rom: 1544 unter dem Titel Vrbis Romae Topographia.

[9] Vgl. insbesondere die sehr viele persönliche Beziehungen in Rom rekonstruierenden Arbeiten von Richard Cooper wie: Richard Cooper, Epigraphical Research in Rome in the Mid-Sixteenth Century: The Papers of Antonio Agustín and Jean Matal, in: M. H. Crawford (Hrsg.), Antonio Agustín between Renaissance and Counter-Reformation (= Warburg Institute Surveys and Texts; 24). London: Warburg Institute, 1993, S. 95-111, dort S. 97, sowie diese umfassend ergänzend: Richard Cooper, Roman Antiquities in Renaissance France, Farnham: Ashgate, 2013.

[10] Vgl. dazu die im Anhang wiedergegebene Liste nach Tolomei mit den zur Publikation vorgesehenen Büchern.

[11] Rikke Lyngsø Christensen, Spaces of Conception. Italian Architecture between Archaeology and Appearance 1502–1570. PhD thesis, Copenhagen: University of Copenhagen, 2011, S. 107ff., meint, bei den von Tolomei genannten 'vocabolari' handele es sich um einfache Wortlisten in Form von Indices. Dagegen ist festzuhalten, dass erst eine umfassende Erläuterung der aufzulistenden Begriffe den Bearbeitern und Benutzern der Accademia-Edition die Möglichkeit zur Erschließung und zum Verständnis des vitruvianischen Textes bieten konnte, welche die Accademia als notwendige Voraussetzung einer neuen Architektur und damit als Ziel ihres Programmss ansah. Solche Erläuterungen müssen während der Treffen bei der Diskussion des Textes erarbeitet und ausgebaut worden sein – nur leider konnten entsprechende Quellen bisher nicht nachgewiesen werden.

[12] Guillaume Philandrier, M. Vitruvii Pollionis viri svae professionis peritissimi De Architectura libri X ad Augustum Caesarem accuratissime conscripti, / locis quamplurimis hac editione emendati […], Strassburg: Knobloch, 1550. – Sowie: Guillaume Philandrier, M. Vitruvii Pollionis De Architectura Libri Decem ad Caesarem Augustum, omnibus omnium editionibus longè emendatiores, collatis veteribus exemplis, Lyon: Jean de Tournes, 1552.

[13] BAV, Vat. lat. 6034, 6035 [?], 6036 [?], 6037, 6038, 6039, 6040 u.a.m.

[14] Erst kürzlich ergab ein minutiöser Vergleich von ca. 30 Handschriften auf 500 Blättern, dass auch der sog. Codex Destailleur A (OZ 109) der Berliner Kunstbibliothek zum größten Teil auf einen französischen Zeichner aus dem Umkreis des Codex Destailleur D zurück geht.

[15] Vgl. insbesondere den noch nicht überholten Katalog: Hermann Egger, Kritisches Verzeichnis der Sammlung architektonischer Handzeichnungen der K. K. Hof-Bibliothek,  1. Teil: Nr. 1–331 = Aufnahmen der antiken Baudenkmäler aus dem XV.– XVIII. Jahrhunderte. Wien: K.u.K. Hof- und Staatsdruckerei, 1903. – Dort interessieren besonders die dem von Egger so genannten "Kopisten des Anonymus Destailleur" zugeschriebenen Zeichnungen, zu denen aufgrund eigener Untersuchungen noch einige, von Egger nicht als demselben Entstehungszusammenhang zugehörig erkannte Blätter hinzu kommen. Bis zur Publikation des in Arbeit befindlichen Katalogs sei daher bzgl. der Datierung, Entstehungshintergründe und Eigenheiten dieser Zeichnungsgruppe auf die online als PDF verfügbare Dissertation des Verfassers: Bernd Kulawik, Die Zeichnungen im Codex Destailleur D (Hdz 4151) der Berliner Kunstbibliothek – Preußischer Kulturbesitz zum letzten Projekt Antonio da Sangallos d. J. für den Neubau von St. Peter in Rom. Dissertation, TU Berlin: 2002, verwiesen sowie auf die Webseite des laufenden SNF-Forschungsprojekts http://www.bibliothek-oechslin.ch/forschung/antikenstudium.

[16] Eine Übersicht der Zeichnungen im New Yorker Metropolitan Museum of Art bietet: Émilie d'Orgeix, Rediscovering Two Major Collections of Renaissance Architectural Drawings: The Goldschmidt and The Scholz Collections in The Metropolitan Museum of Art, in: Metropolitan Museum of Art Journal, Jg. 36 (2001), S. 169-206. – Ergänzend hierzu die wichtige Beobachtung von Carolyn Y. Yerkes, Drawings of the Pantheon in the Metropolitan Museum's Goldschmidt Scrapbook, in: Metropolitan Museum of Art Journal, Jg. 48 (2013) S. 87-120, dass eine der New Yorker Zeichnungen mit Blatt 38 des Berliner Codex Destailleur D in Beziehung steht. Dieses erweist sich sogar als Ergänzung des New Yorker Blattes. Da es sich in beiden Fällen um direkt vor Ort entstandene Originale handelt, müssen die New Yorker Pantheon-Zeichnungen vor den heute in Berlin erhaltenen bis ca. 1547 entstanden sein. Zur Begründung vgl. Kulawik, Die Zeichnungen… 2002 (wie Anm. 15), Bd. I, S. 65ff. zu Wasserzeichen und Papieren, S. 85ff. zu den Zeichnern und S. 97 zur Identität des sog. Anonymus Destailleur; ausserdem die im Bd. II, S. 219 enthaltenen, vorläufigen Katalogeinträge. Damit dürften die New Yorker Pantheon-Zeichnungen zugleich am Anfang der gesamten Vermessungskampagne gestanden haben – in ähnlicher Weise, wie sie Desgodez noch über ein Jahrhundert später an den Anfang seines Werkes stellt: Antoine Babuty Desgodetz, Les édifices antiques de Rome dessinés et mesurés trés exactement par A. D. architecte, Paris: Coignard, 1682.

[17] Wegen der restaurierungsbedingten Schließung des Stockholmer Nationalmuseums können die dort aufbewahrten Zeichnungen, welche zumindest in enger Beziehung zu denen im New Yorker Metropolitan Museum und über diese wiederum mit jenen in Berlin und Wien zu  stehen scheinen, voraussichtlich erst ab April 2015 untersucht werden. – Die Zeichnungen in St. Petersburg konnten bisher (Januar 2015) noch nicht eingesehen werden.

[18] Besonders zu erwähnen sind hier natürlich die schon genannten Mitglieder der Architektendynastie Sangallo, die nicht nur eine Vielzahl an Vermessungen und Rekonstruktionen (oder sogar Korrekturen) antiker Bauten hinterlassen haben, sondern von denen auch eine mit Zeichnungen illustrierte Vitruv-Ausgabe sowie ein Vorwort zu einer Neuedition des antiken Textes erhalten sind, in welchem behauptet wird, dass die geplante Neuedition erstmals aus dem Zusammenwirken von Architekten und Philologen, also Praktikern und Theoretikern, hervorgehen und damit die Fehler und Irrtümer früherer Ausgaben überwinden werde. Ob und wieviel von dieser, nur in einem handschriftlichen Entwurf des Vorworts bekannten Edition realisiert oder in die Arbeit der Accademia eingeflossen ist, ist (noch) nicht bekannt. Dass sein Autor, Antonio da Sangallo der Jüngere, und sein Kollege an der Fabbrica di San Pietro in Vaticano, der Dombauhütte von St. Peter, Jacopo Meleghino, an Treffen der Accademia teilnahmen und ihre Diskussionen dort dezidiert verallgemeinerungsfähige, methodische Fragestellungen betrafen, ist aus einem zeitgenössischen Bericht bekannt: Girolamo Garimberto, De Regimenti publici de la citta, Venedig: Girolamo Cotto, 1544, vgl. dort fol. 1 recto bis 3 recto. – Der genannte Entwurf Antonio da Sangallos d. J. zum Vorwort einer Vitruv-Ausgabe ist mehrfach herausgegeben und kommentiert worden, u.a. in Paola Barocchi (Hrsg.), Scritti d'arte del Cinquecento, Bd. III, (= La letteratura italiana. Storia e testi. Volume 32, tomo III), dort S. 3028–3031.

[19] Giorgio Vasari, Delle vite de' piu eccellenti Pittori Scultori et Architettori […] Secondo, et ultimo Volume della Terza Parte, Florenz: Giunti, 1568, S. 700.

[20] Jacopo Barozzi da Vignola, Regola delli cinque ordini di architettura, Rom: o.J. [ca. 1560, sicher vor 1562].

[21] Cooper, Roman Antiquities …, 2013, (wie Anm. 9) S. 170, weist darauf hin, dass Philibert De L'Orme, der in den 1530er Jahren in Rom antike Bauten vermaß und dabei auch mit dem Accademia-Mitglied Kardinal Marcello Cervini, dem späteren Papst Marcellus II, in Kontakt kam, seine phantasievollen Abweichungen von der Antike mit der Inkonsistenz und Varianz der klassischen Vorbilder selbst rechtfertigte. (Vgl. Philibert De L'Orme, Le Premier Tome d'Architecture, Paris: F. Morel, 1567, folio 197 recto.)

[22] Darauf wies m.W. erstmals hin: Heinz Spielmann, Andrea Palladio und die Antike, München: 1966. – Allerdings scheint dieser Hinweis zu den Grundlagen der Antikenkenntnis Palladios in der Forschung bis heute weitgehend ignoriert worden zu sein.

[23] Daniele Barbaro, I dieci libri dell'architettura di M. Vitruvio tradutti et commentati da Monsignor Barbaro, eletto patriarca d'Aquileggia, Venezia: Francesco Marcolini, 1556.

[24] Daniele Barbaro, M. Vitruvii Pollionis de Architectura libri decem, cum commentariis, Venedig: Apud Franciscum Franciscium Senensem, & Ioan. Crugher Germanum, 1567.

[25] Andrea Palladio, I quattro libri dell'architettura. Venedig: Domenico de' Franceschi, 1570. – Palladios Titelblatt wird bemerkenswerterweise von einer ausdrücklich so bezeichneten Regina Virtus bekrönt.

[26] Vgl. Werner Oechslin, Palladianismus. Andrea Palladio – Kontinuität von Werk und Wirkung, Zürich: Verlag gta der ETH Zürich, 2008.

[27] Neben der Datenbank des Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance, wie das CIL heute bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt (http://census.bbaw.de), sind mir aktuell nur folgende Einzelprojekte bekannt: Im Falle der lateinischen Inschriften, die als Grundstein des von Theodor Mommsen begründeten Corpus Inscriptionum Latinarum angesehen werden können, ist deren Erschließung zwar wohl weitestgehend abgeschlossen, aber auf die eigentlichen Inschriften selbst, jedoch nicht auf die Kommentare aus der Renaissance, die beteiligten Personen usw. ausgerichtet. Im Bereich der Archäologie befinden sich zum einen der Katalog der o. g. Codices Coburgensis und Pighianus durch Henning Wrede unter Mitwirkung von Kathrin Schade sowie das italienische Projekt zur Edition der häufig jedoch unabhängig von der Accademia entstandenen Schriften Pirro Ligorios in Arbeit. Für die Numismatik werden die Nachzeichnungen und Kommentare antiker Münzen aus dem Nachlass Jacopo Stradas durch Dirk Jansen und Volker Heenes in den kommenden Jahren erstmals erschlossen. Hinzu kommen wird zudem der Katalog der Bauaufnahmen antiker und als vorbildhaft angesehener zeitgenössischer Architektur im Berliner Codex Destailleur D (Hdz 4151) und seinem Umkreis durch den Verfasser, deren Zugehörigkeit zur Accademia della Virtù zwar noch nicht definitiv nachgewiesen werden konnte, aufgrund einer Vielzahl von Indizien jedoch als sehr wahrscheinlich gelten darf. – Die heutige disziplinäre Trennung erweist sich aus meiner Sicht leider als sehr hemmend für eine die Quellengruppen übergreifende Sichtung oder selbst nur gegenseitige Kenntnisnahme der Projekte und ihrer Forschungsgegenstände, von einer Kenntnisnahme seitens der nicht direkt mit diesen Quellen arbeitenden Disziplinen wie bspw. der Wissenschafts- oder Technikgeschichte ist mir nichts bekannt.

[28] S. http://www.bibliothek-oechslin.ch/forschung/antikenstudium/accademia/tolomei-1547.