Haller, Interieur [text (draft)]
Hallers kleine Kugel und das Großraumbüro:
das USM Haller Möbelsystem vor dem Hintergrund der Stahlbausysteme und der Einführung des Großraumbüros
Einleitung
Im Folgenden möchte ich zeigen, dass die kleine Kugel, das zentrale Gelenkstück des USM Haller Möbelsystems, ebenso sinnbildhaft wie praktisch eine Veränderung in der Bürowelt verdeutlicht und ermöglichte, die sich zwar nicht in dem Umfang realisiert hat, wie ihre Erfinder dies erhofft hatten, die aber doch über das, was im Verlauf der Tagung zum Büro als Interieur in seiner historischen Entwicklung und soziologischen Struktur dargelegt wurde, in Richtung auf das industrielle Bauen und die Konzeption von Bausystemen hinaus weisen dürfte. Zugleich birgt diese Kugel damit ein Potential, das noch heute, im Zeitalter elektronischer Textverarbeitung und des – theoretisch – papierlosen Büros sowie der weltweiten Vernetzung und gleichzeitigen Kooperation an Dokumenten und Daten nicht ausgeschöpft ist.
Der Beitrag beruht auf meinen Arbeiten für das Werkverzeichnis Fritz Hallers[1] und soll die Interdependenz zwischen dem kleinsten Element des bekannten Möbelbausystems der Firma USM und Hallers mit dieser Firma entwickelten Stahlbausystemen Mini, Midi und Maxi für veränderbare Bauten und unterschiedlichste Anwendungen sowie den dahiner stehenden grundlegenden Gedanken aufzeigen, der flexibles und nachhaltiges Bauen mit Systemen zum Ziel hatte. Ausgehend von Hallers Biographie und seinem Kontakt zu Paul Schärer wird diese Interdependenz der einzelnen Bausysteme und die daraus resultierende Funktionalität des Möbelsystems im Großraumbüro aufgezeigt, welche eine Reduktion hierarchischer Strukturen und eine Flexibilisierung des Arbeitens in projektbezogen wechselnden Gruppen ermöglichen und befördern sollte.
Zur Vorgeschichte der Systeme Hallers
Erwähnt man den Namen Fritz Hallers im Gespräch, so weiß in der Regel kaum jemand etwas mit diesem zu verbinden – es sei denn, die Gesprächspartner seien Architekten mit einem Interesse an industriellem Bauen, Möbeldesigner oder Innenarchitekten. Fügt man aber hinzu, dass man vom Erfinder des USM Haller Stahlbau-Möbelsystems spricht, so können selbst Laien mit diesem Namen sofort eine konkrete Vorstellung verbinden: Kein Wunder – findet sich dieses System doch auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Markteinführung nicht nur in vielen Büros mit 'gehobenem' Besucherverkehr – in Arztpraxen und Anwaltskanzleien und sogar in deren Nachbauten in Tele-Novelas –, sondern selbst in Optiker- oder Schuhgeschäften. Darüber hinaus ist es aber auch Bestandteil vieler privater Inneneinrichtungen, nicht zuletzt aufgrund seines zeitlos-modernen Erscheinungsbildes, welches ihm längst den Status eines Klassikers der Nachkriegsmoderne und prominente Plätze in Designmuseen eintragen hat.
Fritz Haller wurde 1928 in Solothurn als Sohn des Architekten Bruno Haller geboren, besuchte eine Berufsschule und ging anschließend 1949 zur Sammlung von Auslandserfahrungen in die Niederlande. Kaum dort angekommen, erreichte ihn nach wenigen Monaten die Nachricht, dass sein Beitrag zum Wettbewerb für ein Schulhaus der Gemeinde Buchs bei Aarau mit dem ersten Preis ausgezeichnet und zur Ausführung bestimmt worden war. Er kehrte also umgehend zurück in die Schweiz, wo er bereits für dieses erste Projekt auch Schulmöbel entwarf, die zwar für die 1950er Jahre noch nicht sehr ungewöhnlich erscheinen, aber schon eine Tendenz zu klarer Struktur und modularem Aufbau erkennen lassen.
Nachdem er anschließend gemeinsam mit dem Vater vor allem Umbauten ausgeführt und an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen hatte, steuerte er 1955 u.a. die Möbelentwürfe für das Haus des befreundeten Architekten Hans Zaugg[2] bei. Dieser gehörte mit Franz Füeg, Fritz Haller u.a. zu einer Gruppe, für die später die Bezeichnung Solothurner Schule[3] vorgeschlagen wurde, obwohl Zusammenhang und -arbeit eher offen waren und keinen schulmäßigen Charakter trugen. Die von dieser Gruppe geschaffene, sog. Jurasüdfußarchitektur[4] zeichnete sich durch eine klare Formensprache bei rationaler, oft industrieller Bauweise aus.
1957 errichteten Vater und Sohn Haller gemeinsam ein Einfamilienhaus, an dem die tragende Rahmenkonstruktion, welche die Wände entlastete, sowie die Rasterung des Grundrisses auffallen: Selbst Dimensionen und Aufstellung der Möbel wurden im Entwurf bereits diesem Raster unterworfen. Ähnliches gilt für einen ungefähr zeitgleichen, jedoch nicht ausgeführten Gartenpavillon, der in seiner offenen Struktur aus rechteckigen Flächen über einem ebenfalls durchgehenden Raster an den Barcelona-Pavillon Mies van der Rohes erinnert.
Aus dem Jahre 1958 stammt ein Entwurf für ein Mehrfamilienhaus, von dem mehrere Ausführungen in einer Überbauung in Solothurn errichtet wurden: Auch hier waren Aufstellung und Dimensionen der Möblierung in den Privatwohnungen bereits mit eingeplant. Der Entwurf verfügt durch die Unabhängigkeit der nicht tragenden Wände vom Stützensystem prinzipiell über variable und also nachträglich veränderbare Grundrisse. Die Planungen für dieses Ensemble gehen allerdings schon auf das Jahr 1952 zurück, so dass man hier wohl spätestens den Beginn jener Überlegungen Hallers wird ansetzen dürfen, die er später zu dem für sein Schaffen grundlegenden Prinzip weiter entwickelte: dass der Neubau eines Gebäudes nur ein Sonderfall des Umbaus sei und daher Flexibilität sowie Multifunktionalität grundlegende Elemente jedes Entwurfs sein müssten.
Aber nicht nur für Wohnhäuser und sein nächstes, internationale Beachtung findendes Schulhaus am Basler Wasgenring hat Haller mit Stützen-Raster-Systemen und darin eingepasster Möblierung experimentiert, sondern auch und erst recht für Verwaltungsbauten wie z.B. für seinen Entwurf eines Stadthauses mit Kongresshalle in Olten[5]. Dieser errang zwar im Wettbewerb den ersten Preis, gelangte jedoch nicht zur Ausführung: Hier lassen die im Archiv erhaltenen Entwürfe und einige Innenperspektiven nicht nur erkennen, dass das gesamte Ensemble aus drei Gebäuden modular mit austauschbaren Elementen aus Stahl und Glas errichtet werden sollte, sondern auch, dass für die Inneneinrichtung ein in dieses Modulraster integriertes Möbelsystem geplant war, welches vermutlich erst hätte entwickelt werden müssen.
Ein weiteres Beispiel für einen Bürobau mit Ansätzen zu einem (kleinen) Großraumbüro, bei dem ebenfalls Architektur und Möblierung einem gemeinsamen Raster unterworfen wurden, ist der Entwurf für ein Versicherungsgebäude in Winterthur: Die schematische Anordnung der Arbeitsplätze in Zweiergruppen mit orthogonal zu deren Reihen dazwischen verlaufenden Gängen spiegelt dabei diejenige Grundform, die in den USA damals bereits seit Jahrzehnten üblich war. Dies sei hier deshalb erwähnt, weil sich auch in dieser Hinsicht im Möbelsystem für USM eine entscheidende Veränderung vollzieht.
Daneben entwarf Haller auch für sein eigenes Architekturbüro bereits in den 1950er Jahren Möbel, die erkennbar modular strukturiert waren und über ein zumindest teilweise stählernes Rahmengerüst verfügten.
Fritz Haller und Paul Schärer: Stahlbausysteme
1960 lernte Fritz Haller über Theodor Fässler, damals an der ETH Zürich Professor für Betriebswirtschaftslehre und später Leiter der Spezialgeräte-Firma Mikron, dessen Assistenten Paul Schärer (junior) kennen. Dieser hatte Ingenieurwesen und Betriebswirtschaft studiert und entstammte einer Familie, welche die seit 1885 in Münsingen bei Bern ansässige Firma USM (Ulrich Schärer's Söhne Münsingen) betrieb. USM lieferte Bau- und Fensterbeschläge, und dem jungen Paul Schärer war recht früh deutlich geworden, dass die Entwicklung seiner Firma sowohl eine Ausweitung der Produktpalette als auch der Produktion erfordern würde. Zu diesem Zweck sollte bei Münsingen eine neue Fabrik errichtet werden. Da aber noch nicht abzusehen war, wie und wohin sich die Produktion entwickeln könnte, galt als eine der Voraussetzungen, dass der Neubau so flexibel wie nur irgend möglich sein sollte. Zugleich überlegte man wohl schon damals, ob das hierfür zu entwickelnde Bausystem auch als eigenständiges Produkt für die Erstellung flexibler Industriebauten vermarktet werden könnte.
Wie bereits auf den ersten Entwürfen für das neu zu bebauende Fabrikgelände zu erkennen ist, rechnete man schon früh mit einer erheblichen Ausweitung der Produktion. Hierfür waren Anbauten wie ein überdachter Hof sowie ein ein- oder zweigeschossiger Büropavillon für die Verwaltung vorgesehen. Dieser sollte neben dem eigentlichen Fabrikgebäude errichtet, aber mit ihm in ein gemeinsames Raster eingebunden werden, welches das gesamte Gelände gliederte.
Für die Fabrik selbst entwickelte Haller das später USM Maxi[6] genannte System aus Stützen, Wandelementen und Fachwerkträgern, die Stützenabstände von 14,40 m überspannen konnten. Dieses System war zwar grundsätzlich für eingeschossige Fabrikationshallen gedacht, wurde aber bereits im ersten Fremdprojekt für die Firma Agathon auch zweigeschossig eingesetzt.
Dass USM sich später rasant weiter entwickelte, ist auf Luftaufnahmen aktueller Kartendienste im Internet gut zu erkennen: Bei Ausrichtung nach Norden erscheint dort links, am westlichen Rand des Fabrikgeländes direkt an der Thunstraße, die ursprüngliche, später nach drei Seiten um zeilenweise Anbauten erweiterte Halle, während sich im Süden und Osten des Geländes später zwei weitere große Hallenbauten anschlossen, die den bereits mit der ersten Halle errichteten Büropavillon als dreiflügelige Anlage über gemeinsamem Raster umgeben.
Für diesen Pavillon entschlossen sich Haller und Schärer ein eigenes System zu entwickeln, das in der Standardversion halb so hoch und in der Breite ein Teilwert von USM Maxi sein sollte, damit es in dieses eingebaut werden konnte. Konsequenterweise wurde es USM Mini getauft. Seine Einzelelemente sind 2,40 m hoch und 1,20 m breit. Diese Maße erklären sich aus der Tatsache, dass als kleinste Einheit der Module der Dezimeter festgelegt wurde und sich Systemeinheiten aus 12 Elementen bekanntlich leicht in Gruppen zu 2, 3, 4 und 6 Elementen unterteilen lassen. Später findet sich diese Grundrasterung als Standardmaß von 60 cm auch in den ersten Tischen und Rollboys des Möbelsystems wieder.
Das Mini-System konnte ebenfalls zweigeschossig eingesetzt werden und fand schon früh nicht nur für Verwaltungsgebäude wie bei USM selbst Verwendung, sondern auch für Verkaufspavillons oder Einfamilienhäuser – u.a. diejenigen für Paul Schärer neben der USM-Fabrik und für den o.g. Theodor Fässler – aber auch für Labore, Bahnwärterhäuschen, Bushaltestellen u.v.a.m.
Ergänzt wurden USM Maxi und Mini später noch durch das im Grundraster dazwischen angesiedelte System USM Midi mit Grundmaßen von 60 und 100 cm, daher USM Midi 600 und Midi 1000 genannt[7]. Dieses wurde speziell für mehrgeschossige, hochinstallierte Büro-, Schul- und Verwaltungsbauten eingesetzt. Als prominentestes Beispiel in der Schweiz sei der mehrfach ausgezeichnete Naturwissenschaftliche Trakt der Kantonsschule Solothurn genannt[8].
Büro-Möbel als Ergänzung der Stahlbausysteme
Schärer[9] und Haller betonten später mehrfach, dass sie sich bei der Planung des USM-Büros auf fremde und eigene Studien zur Arbeitsproduktivität gestützt hätten, aus denen hervor gegangen sei, dass die Arbeit in Großraumbüros 20-25% effektiver verrichtet werden könne als in den damals in der Schweiz noch weit überwiegend verbreiteten Einzel- und Kleinbüros. Dazu wurden u.a. schematisch Weglängen und Häufigkeiten der Wegnutzung im Arbeitsablauf erfasst.
Aber die beiden Initiatoren gingen in ihren Überlegungen noch weiter: Sie nahmen an bzw. setzten voraus – vermutlich aufgrund bereits vorhandener Erfahrungen bei USM –, dass die Aufträge der Firma in Form von Projekten bearbeitet werden würden, für die sich die einzelnen Mitarbeiter immer wieder in neuen Arbeitsgruppen für begrenzte Zeit zusammen finden müssten. Es ging also nicht einfach darum, eine moderne Bürolandschaft zu schaffen, sondern im Zentrum stand das Interesse an der Flexibilität der Arbeitsplatzanordnung. Daraus leiteten sie ab, dass die Möbel nicht nur leicht und damit einfach zu verschieben sein sollten, sondern sogar selbst immer wieder umstrukturiert werden müssten. Da es auf dem damaligen Markt für Büromöbel nichts gab, was ihren eigenen Vorstellungen entsprach, entwickelten sie diese Möbel also selbst: Die ersten Beispiele bestanden zum Teil noch aus Holz und verfügten nur über stählerne Stützen, aber schon bald, noch in der ersten Experimentierphase, wechselte man vollständig zum Stahl, denn die Arbeit mit Stahlblechen und -verbindungen war schließlich traditionell die Stärke der Firma USM. Außerdem konnte man so auch darauf verzichten, spezielle Holzelemente anfertigen zu lassen oder von Zulieferfirmen einkaufen zu müssen.
Die ersten Stahlmöbel ähneln zwar schon stark dem späteren System, sind aber noch nicht in diesem realisiert, sondern als Vorstufen anzusehen: Sie verfügten an den Knotenpunkten über Verbindungen, die noch nicht an die spätere Kugel andockten, sondern mittels fester Stutzen in die Stahlrohre übergingen.
Was man jedoch damals schon realisierte, war die Öffnung der Regale nach gegenüber liegenden Seiten. Schärer und Haller waren nämlich der Überzeugung, dass in einem wirklich flexiblen Büro alle für die gemeinsame Arbeit wichtigen Akten nicht mehr in einem Schrank, auf einem bestimmten Schreibtisch oder gar in abgeschlossenen Schubladen aufbewahrt werden durften, sondern jederzeit allen zugänglich sein müssten, die diese für ihre Arbeit benötigten: Die heute übliche gemeinsame Server-Ablage für digitalisierte Dokumente im firmeninternen Netzwerk oder der Cloud kann man sehr wohl als Weiterentwicklung dieser Idee im digitalen Zeitalter ansehen. Der Benutzer sollte also nur noch seine persönlichen Utensilien in einem sog. Rollboy aufbewahren. Darunter ist ein Rollcontainer mit Schubladen und Ablage zu verstehen, der sich unter dem jeweiligen Arbeitstisch platzieren lässt. Damit konnten die Angestellten schnell jederzeit an genau den Arbeitsplatz wechseln, an dem sie gebraucht wurden. Entsprechend bestehen auch die Schreibtische des Systems bereits von Anfang an nur noch aus vier Beinen und der Tischplatte – keine Fächer, Schubladen und Blenden in oder hintern denen etwas für andere unzugänglich abgelegt werden könnte.
Es ist offensichtlich, dass damit zugleich eine Hierarchisierung der Arbeitsplätze – ob im Großraum- oder im Einzelbüro – praktisch nicht mehr möglich war: An die Stelle wuchtiger Schreibtische aus edlen Hölzern, die in ihrer Größe und der Anzahl der (verschließbaren) Schubfächer gemäß der Bedeutung des Benutzers variierten und so vor allem eher klar erkennbarer Ausdruck des Ranges in der Firmenhierarchie als praktische Arbeitsmöbel darstellten, sollte die einfache, für alle Angestellten gleiche Tischplatte treten.
Abbildung 1: Knoten des USM Haller Möbelsystems aus Kugel und Rohren. / Quelle: http://www.usm.com/de-ch/bilder-dokumente[10]
Die Experimente und Entwicklungen am Möbelsystem zogen sich über einige Jahre hin – und Haller betonte später mehrfach, dass der Anteil der erfahrenen USM-Handwerker an den Versuchen und am Finden der verschiedenen Zwischenlösungen kaum hoch genug eingeschätzt werden könne. Am Ende stand mit der Kugel für die Knotenpunkte als Verbindungselement zwischen den Rohren eine Lösung, die im wesentlichen bis heute unverändert geblieben ist, so dass man Teile von 1965 mit denen von heute noch immer kombinieren kann. Lediglich Feinheiten der Klemmverbindung haben sich in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten geändert – aber sie lassen sich immer noch problemlos durch die neuen Elemente austauschen und mit der unveränderten Kugel verbinden.
Kam die Anregung für das Möbelsystem aus dem Eigenbedarf der Firma und entsprach zweifellos dem Wunsch Hallers und Schärers nach einem konsistenten Satz miteinander kombinierbarer Baukastensysteme für industrielles Bauen in verschiedenen Dimensionen, so finden sich die Möbel bald auch in anderen Bauprojekten wie der Sparkasse Kriegstetten, die seit 1962 geplant und 1965 fertig gestellt wurde: Dort wurde selbst der Kundenraum – in der Regel in Banken eine imposante, Bedeutung, Seriosität und Sicherheit suggerierenden Schalterhalle als Ausdruck strenger Hierarchien – in ein offenes Büro umgewandelt, in welchem sich Bankvertreter und Kunde als gleichberechtigte Partner an den einfachen Tischen des Möbelsystems gegenüber saßen. Haller konnte die Auftraggeber überzeugen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Angestellten und Kunden aus dem ländlichen Umfeld durch die typische Bankschaltersituation eher gestört werden würde und es daher besser sei, eine wirklich offene Lösung zu realisieren. Obwohl das für das Gebäude selbst verwendete Stahlbausystem nicht einem der bereits entwickelten USM-Systeme entsprach – man könnte es am ehesten als Vorläufer des USM Midi ansehen –, fügten sich die Möbel jedoch bereits in das Raster des gesamten Gebäudes ein. So konnten sie ihre Position ebenso wie die nicht tragenden Zwischenwände des Gebäudes jederzeit ändern und unterschiedlichen Nutzungskonzepten angepasst werden. Dies geschah in den folgenden Jahrzehnten mehrfach, und erst 2004 wurde der ursprüngliche und als denkmalschutzwürdig erachtete Zustand weitgehend wieder hergestellt[11].
Selbst Nebenfunktionen wurden in den Entwürfen für das Möbelsystem schon früh realisiert: So entwarf Haller für den Eingangsbereich der Agathon AG Mitte der 1960er Jahre einen Empfangstresen. Und noch ein anderer Bestandteil traditioneller Büroeinrichtungen wurde damals bereits berücksichtigt: Schon auf den ersten Fotos aus dem USM-Büropavillon ist zu erkennen, dass selbst die als Raumteiler fungierenden Blumenbänke mit dem Möbelsystem hergestellt werden konnten. Ebenso entwarf Haller für andere, eher nebensächliche Funktionen jeweils Elemente, die mit den Grundelementen des Systems kombiniert werden konnten, z.B. Haltevorrichtungen für Monitore.
Es mag erstaunen, dass Stühle dagegen nie Bestandteil des Möbelprogramms wurden. Dies lässt sich aber recht einfach damit erklären, dass sie nicht mit den restlichen Möbeln verbunden und daher nicht in das Baukasten-System integriert werden mussten. Außerdem sah Haller offensichtlich besonders in den Entwürfen von Charles und Ray Eames – selbst bereits Klassiker des modernen Designs – endgültige und zeitlose Lösungen, die entsprechend in vielen Büros mit USM-Ausstattung diese ergänzen.
Die Flexibilität des System verleitete einige Innenarchitekten dazu, es sogar – wie z.B. wie im Empfangsraum der damaligen Schmidt-Bank in Nürnberg – für die Wand- und Deckenverkleidung zu benutzen! Haller selbst entwarf ein ähnliches Gesamtensemble für den USM-Showroom in Paris, der heute leider nicht mehr existiert: Dort wurde in ein älteres, hohes Ladengeschäft teilweise ein Zwischengeschoss mit dem System USM Mini eingefügt, während die Wände vollständig hinter einem durchgehenden Wandregal verschwanden. Hierbei handelte es sich jedoch bestimmungsgemäß um Regale für die Aktenablage, nicht nur um eine flache Verkleidung aus Stahlblech wie in Nürnberg.
Abbildung 2: USM Möbelsystem im Großraumbüro (Hallenbau: USM Maxi). / Quelle: http://www.usm.com/de-ch/bilder-dokumente/bilder
Auf Werbefotos für das Möbelsystem – die anhand der Konstanz des beworbenen Objekts sicherlich ein interessantes Studienobjekt für die Entwicklung von Werbestrategien über mehrere Jahrzehnte darstellen – sieht man immer wieder die flexible Verwendung der Elemente und ihre Anordnung sowohl als einfache Regale und Schränke oder auch als raumgliedernde, von beiden Seiten zugängliche Regalwände und Raumteiler mit Regalfunktion: Damit entspricht noch fast jede dieser Einrichtungsvarianten den ursprünglichen Vorstellungen Hallers und Schärers von einem flexibel nutzbaren (Großraum-) Büro, in dem die Mitarbeiter in leicht zu erstellenden Ensembles als ad-hoc-Gruppen zusammen arbeiten können sollten – ein Effekt, der letztlich ebenfalls nur möglich ist, wenn das System selbst keine (Aus-) Richtung bevorzugt oder ausschließt. Und dies ist wiederum nur mittels der kleinen Kugel möglich.
Alle genannten Funktionen und Anwendungen beruhen im Kern also darauf, dass durch die kleine Kugel als Knotenelement eine – entlang der Achsen des orthogonalen dreidimensionalen Raumes – omnidirektionale, prinzipiell unendliche Reihung der Elemente möglich ist, die zugleich eine flexible, wandelnden Anforderungen entsprechende Raumaufteilung und Nutzung erlaubt: Insofern kann man im USM-Möbelsystem eine perfekte Verschränkung des kleinsten Elements mit der größten denkbaren Anwendung realisiert sehen: Erinnert sei daran, dass die Möbel sich perfekt in das Raster der Stahlbausysteme USM Mini und Midi einpassen ließen und diese wiederum in das System Maxi für Großbauten! – Ganz zu Recht konnte USM deshalb in einer Anzeige aus dem Jahre 1972 behaupten, dass die Firma dieser kleinen Kugel «alles» verdanke. Denn hatte man sich in den 1960er Jahren noch weitgehend damit zufrieden gegeben, das eigene Möbelsystem nur gemeinsam mit den Bausystemen zu installieren, so entschloss man sich 1969 nach einer Firmenbesichtigung durch eine Kommission des französischen Bankhauses Rothschild, auch das Möbelsystem selbst unabhängig von den Stahlbausystemen zu vermarkten.
Das Büro-Möbelsystem: Anregung für nachhaltiges Bauen heute
Inzwischen sind die Stahlbausysteme Hallers – USM Maxi, Midi und Mini – man möchte sagen: leider – praktisch vergessen, obwohl sie im Zuge aktueller Forderungen nach Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit durch Rückbaubarkeit und Flexibilität im Bauen eigentlich eine Renaissance erleben müssten. Tatsächlich lassen sich gelegentlich Neuentwicklungen finden, die – vermutlich unabhängig von ihren Vorläufern aus dem Hause USM bzw. in Unkenntnis derselben – ähnliche Lösungen mit industriell vorfabrizierten Teilen aufweisen, z.B. für den schnellen Bau von Hochhäusern. Allerdings ist mir kein Fall bekannt, in dem eine vergleichbare, systematische Abstimmung aller Elemente – vom kleinsten Büroelement bis zum größten Stahlträger – realisiert wäre.
In stärkstem Kontrast dazu steht die gegenwärtig sich rasant ausbreitende sog. Investorenarchitektur, für die ganz offen eine Lebensdauer in Länge der Amortisationszeit von ca. 30 Jahren angegeben wird: Danach kann sie bereits wieder durch neues ersetzt werden. Obwohl viele dieser Bauten aus einheitlichen Tragkonstruktionen bestehen, die nur durch unterschiedliche, vorgehängte Fassaden dekoriert oder in nicht sehr zweckmäßigen Formen mit schiefen Winkeln versteckt werden, ist dieses Denken natürlich das Gegenteil jener Nachhaltigkeit, die mit Blick auf die schwindenden Ressourcen und gerade auch angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs bevölkerungsstarker Länder wie China, Indien oder Brasilien zu Recht gefordert werden muss.
Das Haus als 'Maschine' und seine Einrichtung, auch die des Büros, scheinen sich nur noch an Moden und kurzlebigen, regelmäßig auszutauschenden Elementen wie Computer und Kopiergerät, jedoch nicht mehr an möglichst langfristig nutzbaren Vorbildern zu orientieren. Zwar scheint es im Büro wieder eine Gegenbewegung zu jenem Cubicle zu geben, das selbst als Gegenbewegung zum Großraumbüro entstand, diese lässt aber eher eine stärkere Hierarchisierung zwischen einfachen Angestellten, die im Großraumbüro arbeiten, und jenen höher gestellten Mitarbeitern erkennen, denen eigene Büros zugestanden werden. Dass sich ausgerechnet in diesen dann häufig Hallers kostspieliges aber langlebiges USM-Möbelsystem findet, könnte als Ironie der Design- und Architekturgeschichte gesehen werden. Aber auch für das Großraumbüro selbst sind mir keine Beispiele für eine möglichst flexible Nutzung bekannt, die das von Haller und Scherer angestrebte Zusammenarbeiten in zeitlich begrenzten Gruppen unterstützen würden: Auch hier scheint sich eher eine gewisse Hierarchisierung und Abgrenzung im Status und dessen Repräsentation zu zeigen.
Im Unterschied zu den inzwischen eingestellten Stahlbausystemen Maxi, Midi und Mini bestimmt das USM Haller Möbelsystem heute nicht nur die Produktpalette von USM, sondern wurde zu einem Markenzeichen für klassisches, funktionales Design, das als Beispiel für Moderne im besten Sinne selbst die Postmoderne überlebte und das selbst im privaten Umfeld häufig anzutreffen ist.
Mit Blick auf einen bewussten und sparsamen Einsatz natürlicher Ressourcen, eine vor allem auf Wiederverwendbarkeit gründende Nachhaltigkeit ihrer möglichst dauherhaften Nutzung und – als Voraussetzung hierfür – eine größtmögliche systematische Flexibilität und Kombinierbarkeit, welche kleinste und größte Elemente über alle baulichen Hierarchie- und Strukturebenen hinweg konstruktiv verschränkt, aber auch und gerade mit Blick auf seinen ursprünglich intendierten, quasi demokratisierenden Einfluss auf die Arbeitsumgebung Büro durch Reduktion von Hierarchien und ihrer Design gewordenen Repräsentation erscheinen Hallers Stahlbausysteme und besonders das noch aktuelle Möbelsystem, für welches die kleine Kugel als sein zentrales Knotenelement steht, als ein Lösungsansatz, dem wieder eine breitere Rezeption und ein Aufgreifen oder eine Weiterentwicklung seitens der Architekten und Designer zu wünschen wäre.
Literatur
Graser, Jürg: Gefüllte Leere. Das Bauen der Schule von Solothurn – Barth, Zaugg, Schlup, Füeg, Haller. – Zürich: gta Verlag, 2014.
Haller, Bruno; Haller, Fritz: Stadthaus und Stadtzentrum Olten, in: bauen+wohnen [Zürich] 13 (1959), Heft 2, S. 10–18.
Haller, Bruno; Haller, Fritz: Wohnhaus Steiner in Bellach, in: bauen+wohnen [Zürich] 13 (1959), Heft 8, S. 272–275.
Haller, Fritz: MIDI-Armilla, in: Kuhnle, Heinz und Stefan Fuchs (Hg.), Die technische Universität an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Festschrift zum 175jährigen Jubiläum der Universität Karlsruhe (TH). Berlin u.a. 2000, S. 261-271.
Haller, Fritz: Wohnmöbel in Architektenhaus, in: bauen+wohnen 15 (1960), Heft 11.
Kopp, Mirjam: Rückbau auf das Wesentliche gelungen: Die neu gestaltete Niederlassung der Baloise Bank SoBa wurde wieder eröffnet, in: Solothurner Zeitung vom 6.9.2004, S. 13.
Stalder, Laurent; Vrachliotis, Georg (Hg.): Fritz Haller – Architekt und Forscher / unter Mitarbeit von B. Kulawik. Zürich: gta Verlag, [erscheint 2015].
USM Stahlbausysteme «Haller». Zwei Bausysteme für Fabrikbauten (Maxi) und für Arbeitsräume sowie Wohnungsbauten (Mini), in: Schweizerische Bauzeitung 87, 1969, Heft 23, S. 442-443.
Wälchli, Roland: Drei Wettbewerbe für das Oltner Stadtzentrum, in: Oltner Neujahrsblätter (1992), S. 22–27.
Zaugg, Hans: Möbel im Wohnhaus Zaugg, in: bauen+wohnen 10 (1956), S. 311–312.
[1] Die Publikation ist – zusammen mit den Beiträgen eines Kolloquiums vom März 2013 an der ETH Zürich – für Juni 2015 beim gta Verlag Zürich angekündigt.
[2] Zaugg, Hans: Möbel im Wohnhaus Zaugg, in: bauen + wohnen 1956, S. 311-312.
[3] Snozzi, Luigi: Betrachtungen über die Solothurner Gruppe, in: Werk, Bauen + Wohnen [Schweizer Ausgabe], Vol. 68, Heft 7/8 (1981), S. 14-16.
4 Graser, Jürg: Gefüllte Leere. Das Bauen der Schule von Solothurn – Barth, Zaugg, Schlup, Füeg, Haller. – Zürich: gta Verlag, 2014.
[5] Wälchli, Roland: Drei Wettbewerbe für das Oltner Stadtzentrum, in: Oltner Neujahrsblätter 1992, S. 22-27.
[6] USM Stahlbausysteme «Haller». Zwei Bausysteme für Fabrikbauten (Maxi) und für Arbeitsräume sowie Wohnungsbauten (Mini), in: Schweizerische Bauzeitung 87, 1969, Heft 23, S. 442-443.
[7] Haller, Fritz: MIDI-Armilla, in: Kuhnle, Heinz und Stefan Fuchs (Hg.), Die technische Universität an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Festschrift zum 175jährigen Jubiläum der Universität Karlsruhe (TH). Berlin u.a. 2000, S. 261-271.
[8] Vgl. z.B.: Fink, Caroline. SIA-Preis für "Kanti" Solothurn. Die Kantonsschule erhält eine Auszeichnung für nachhaltiges Bauen. – In: Neue Mittelland Zeitung / Solothurner Zeitung 22.09.1997, S. 7.
[9] Vgl. z.B.: Schärer, Paul: Gedanken zur Arbeit im Großraum. – In: bauen+wohnen, 8. Jg. (1965), S. 334.
[11] Kopp, Mirjam: Rückbau auf das Wesentliche gelungen: Die neu gestaltete Niederlassung der Baloise Bank SoBa wurde wieder eröffnet, in: Solothurner Zeitung vom 6.9.2004, S. 13.