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Blatt 25

Colosseum

25: Colosseum

 

Vorbemerkung: Dieser Eintrag beruht teilweise auf der Hausarbeit von Valerie Theres Lang und Christina Toniolli zur Vorlesungs-Übung «Architekturdokumentation und Präsentation | Architekturzeichnungen» an der TU Wien im Sommersemester 2022.

n. 25
Egger S. 21 Unbekannter Franzose (K. d. A. D.), XVI. Jahrh.: Grundriß des Erdgeschosses (Quadrant). Kopie nach Anon. Destailleur n. 14 (24)
H. 42˙  0, Br. 53˙  7; Feder; WZ: Kreis mit Armbrust

Zusammenfassung

Das Recto des Blattes entspricht dem Blatt HDZ 4151, 14r. Das Verso ist wie bei jenem leer.

Blatt 25 zeigt den nordwestlichen Quadranten des Erdgeschoss-Grundrisses des Kolosseums. Neben diversen sehr genauen Bemaßungen enthält die Zeichnung auch Verweise auf weiterführende, jedoch vermutlich nicht mehr vorhanden Detailzeichnungen.

Während die Wiederholung der Zeichnung mit fast allen Maßen für das Bauwerk keine neuen Erkenntnisse beizusteuern vermag, sind doch mehrere Umstände bemerkenswert: Der AD–2 – also Eggers „Kopist“ — war bspw. offensichtlich nicht bemüht — wie auch in praktisch allen anderen Zeichnungen — auf der Grundlage der vermeintlichen Vorzeichnung Guielmos, des AD–1, eine Reinzeichnung zu erstellen. Tatsächlich tragen beide Zeichnungen so viele identische Merkmale, dass eine Priorisierung bzw. Vordatierung der einen gegenüber der anderen schwer fällt: Zwar fehlen auf dem vorliegenden Blatt einige wenige Maße, was für dessen Kopienstatus spräche, andererseits liegen hier Vorzeichnungen mit Kohlestift vor, die im Berliner Blatt fehlen, was auch dort eher selten vorkommt. Der sauberere Gesamteindruck des Berliner Blattes könnte zusätzlich dafür sprechen, dass es die Kopie nach dem Wiener Blatt ist. Damit ließe sich entgegen Eggers Suggestion sogar vertreten, dass das Berliner Blatt nach dem Wiener, zumindest aber zeitgleich mit diesem entstanden ist.

Ansonsten lassen sich aufgrund der vielen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Blättern die zu HDZ 4151, 14 gemachten Bemerkungen auf die vorliegende Darstellung übertragen: Besonders bemerkenswert erscheint darunter die auch hier zu machende Beobachtung, dass die von der Hauptachse des Baus radial verlaufenden Sichtachsen sich kreuzen und damit die geometrische Irregularität des Baus dokumentieren, die m. W. in keiner späteren Vermessung bzw. Publikation gezeigt wird. (Aufgrund der Vielzahl der Darstellungen des Bauwerks ist bei dieser Aussage natürlich Vorsicht geboten; und spätestend die Aufnahmen der Bauforscher im 20., wenn nicht schon im 19. Jahrhundert, dürften diesen Umstand dann doch widerspiegeln: Mir sind allerdings keine solchen als publiziert bekannt.)

Die starke Verschmutzung am unteren Rand in einer Breite von durchgehend 3-4 cm lässt darauf schliessen, dass die Zeichnungen hier (also an der Bindeseite) stärker den Umwelteinflüssen ausgesetz war. Dasselbe lässt sich z. B. für Blatt 27 feststellen.

Für alle weiterführenden Interpretationen und Kommentare sei auf den Eintrag zu HDZ 4151, 14 verwiesen.

Allgemeines

heutige aufbewahrung: Kasten I, 1–81
provenienz: K. u. K. Hofbibliothek; davor ungeklärt.
frühere inventarnummern: «B. IX. 1» mit Kohlestift in der linken unteren Ecke des Verso. Hierbei handelt es sich vermutlich um eine alte Gruppensignatur, denn da dieselbe Nr. auf Bl. 27 auftritt, kann es sich nicht um eine Signatur im engeren Sinne für ein einzelnes Blatt handeln. Dies trifft offenbar auch für alle ähnlichen Signaturen der Albertina-Zeichnungen zu.

Technische Beschreibung

format: Doppelfolio
abmessungen: 424 mm × 539 mm (beschnitten)
papierqualität: mittelfest, hellbeige mit Verdunkelungen im unteren Bereich (möglicherweise ein Hinweis auf eine frühere Bindung, wobei dies dann die Standseite des Bandes gewesen wäre, die stärkerer Verschmutzung ausgesetzt war?)
wasserzeichen: Armbrust im Kreis, darüber Lilie / in der linken Hälfte des Blattes (nicht einsehbar, da aufgelegt): Die Übereinstimmung des Wasserzeichen mit HDZ 4151, Bl. 14 sowie die anscheinend vollständige Übereinstimmung aller Maßangaben, lässt den Schluss zu, dass beide Blätter im selben Zeitraum entstanden und nicht, wie Egger in seiner Charakterisierung des «Kopisten» vermutet, erst in den 1560er Jahren, also fast 20 Jahre nach der Aktivität Guielmos, des Anonymus Destaillleur 1.
gitterabstände: 35 mm
heftlöcher: am unteren Rand, in der rechten Hälfte des Recto: Das Blatt war – ebenso wie diejenigen in HDZ 4151 – also offensichtlich mittig gefaltet und im Querformat eingebunden. / Daneben finden sich Heftlöcher am rechten, kürzeren Blattrand, also entlang der kurzen Achse des Ovals. Dort war das Blatt auch gefaltet, also wohl nachträglich erneut eingebunden worden. / Das Papier war am Mittelfalz ausgerissen und wurde dort durch Aufkleben eines Stücks Papier rückseitig geflickt: Derselbe Verschmutzungsgrad zeigt an, dass dies schon sehr früh geschehen sein muss.
zustand: leichte Papierbeschädigungen (Abnutzung im unteren Bereich nahe der Faltung; Löcher rechts unten, in der linken Faltung im unteren Drittel und zwei kleine in der rechten Faltung mittig); verwischte Tinte (größere Verwischungen in der linken Faltung, rechts nur stellenweise).
hände: AD–2 (= K. d. A.D.)

25.1 = recto: Erdgeschoss: Grundriss des nördlichen Quadranten

Allgemeine Vorbemerkungen

Die Zeichnung nimmt das gesamte Blatt ein. Eine klare Unterteilung erfolgt nicht und wird daher hier auch nicht vorgenommen.

25.1.1 Grundriss des nördlichen Quadranten

position: gesamtes Blatt
technik: freihändige Feder in braun bzw. vormals schwarz, Vorzeichnungen mit Kohlestift [im Berliner Blatt des «Anonymus Destailleur» fehlen diese, woraus sich eine Priorität dieses Wiener Blattes ableiten lässt]
hand: kdad
beischriften / position:
«toutre la lo…ssa sonne» = «Gesamte Länge»/ am unteren Blattrand entlang der Hauptachse
«Toutte la largesse» = «Gesamte Länge»/ nahe dem rechten Rand, entlang der Nebenachse
«co[n]dutte | de aqua per isire fora» = «Leitung des Wassers zur Abführung nach außen» ebenso in HDZ 4151,14r / am Innenrand der Arena
massangaben / grundmass: «p9 – o3 – ø10» = [vermutlich französischer Fuß à 324,8 mm]
massstab: ca. 1 : 200 (1/2 Längsachse ca. 50 cm, real 94 m)
Kommentar: Bei der ersten Untersuchung des Blattes ist aufgefallen, dass sich die Bemaßung zum Großteil auf die Abstände zwischen den Bauteilen und nicht auf die Bauteile selbst bezieht. Die Begründung liegt darin, dass die Wandstärken von Räumen in den Räumen selbst kaum direkt messbar sind und nur indirekt aus anderen Maßen erschlossen werden können. Außerdem wurden auf der skizzierten Längsachse des Kolosseums bestimmte Punkte vermessen: Der/die Zeichner bzw. der «Messtruppführer» wussten vermutlich, dass das Kolosseum keine perfekte Ellipse ist oder hatten dies während der Vermessung bemerkt. Es wurden mehrere Standpunkte auf der Längsachse markiert, bemaßt und von dort aus Sichtlinien bzw. Konstruktionslinien nach außen eingezeichnet. Diese stimmen ziemlich genau mit den Fluchtlinien einer polyzentrischen Kurvenkonstruktion überein. Es könnte durchaus sein, dass der Zeichner die Beobachtung, dass das Kolosseum nicht als perfekte Ellipse konstruiert worden war, festhalten wollte, um sich erst später Gedanken über die Konstruktionsmethode zu machen bzw. diese durch Analyse der Messergebnisse zu rekonstruieren.
Das Blatt weist keine erkennbaren Heftlöcher auf, weshalb man annehmen kann, dass die Blätter zu einem späteren Zeitpunkt beschnitten wurden. Des weiteren wurde die Signatur «B.IX.1.» sowohl auf dem Teilgrundriss (Blatt 25) als auch auf dem Schnitt (Blatt 27) gefunden, woraus sich schließen lässt, dass es sich hierbei um eine Gruppensignatur handelt und beide Blätter mit großer Wahrscheinlichkeit aus derselben Sammlung stammen. Bei gemeinsamer Betrachtung der Blätter 25 und 27 ist aufgefallen, dass die einzelnen Buchstaben in der Zeichnung auf weiterführende Detailzeichnungen verweisen. Daraus lässt sich schließen, dass es ursprünglich noch solche weiteren Detailzeichnungen des Kolosseums geben hat, die heute jedoch nicht bekannt sind.
Einige wenige fehlende Maßangaben auf dem Recto (z. B. am unteren Rand, links im Bereich des axial gelegen Haupteingangs) legen nahe, dass dieses Blatt eine unvollständige Kopie nach HDZ 4151, 14r sein könnte. Sie könnten aber auch bedeuten, dass die Zeichner parallel arbeiten und der Zeichner dieses Blattes nur während der Arbeit vergaß, einige Maße einzutragen. Dafür sprächen die Vorzeichnungen mit Kohle, die zur Platzeinteilung auf dem Blatt nicht notwendig gewesen wären, wenn HDZ 4151, 14r bereits fertig vorgelegen hätte und also nur hätte kopiert werden müssen. Eine umgekehrte Abhängigkeit des Berliner Blattes von diesem ist wegen der zusätzlichen Informationen auf dem Berliner Blatt jedoch ebenfalls eher auszuschließen. D.h., dass hier wohl von einer parallelen Anfertigung nach einer gemeinsamen Vorlage auszugehen ist, wobei dagegen jedoch die Kohlevorzeichnungen des Wiener Blattes sprächen.
Die Überkreuzung der Radiallinien mit der Mittelachse liegen trotz der nicht perfekten Maßstabsgenauigkeit der Zeichnung (ebenso in Berlin) in ähnlich dichtem Abstand voneinander, wie sie sich bei einer flüchtigen Überprüfung anhand der Luftaufnahmen aus Internet-Kartendiensten rekonstruieren ergeben, was zusätzlich für erstaunliche die Sorgfalt der Zeichner spricht.

25.2 Verso: keine Zeichnung

Auf der Blattseite findet sich lediglich die bereits erwähnte Beschriftung durch einen Vorbesitzer («B.XI.1.»), bei der es sich vermutlich um eine Gruppensignatur handelt, sowie ein Stempel der K.u.K. Hofbibliothek.

Vergleichbare Zeichnungen

Berlin: Kunstbibliothek: HDZ 4151, Blatt 14 recto
Vatikan: Codex Barb. lat. 4424, Blatt XX
London: Sir John Soane’s Museum: Codex Coner, Blatt XX
London: RIBA, Palladio Collection, IV, fol. 14 verso
London: RIBA, Palladio, Collection, IV, fol. 15