recto: St. Peter: Kuppelfussgesims Michelangelos

111.1   St. Peter: Kuppelfußgesims Michelangelos

 

111.1.1 Perspektivische Darstellung eines kurzen Gesimsabschnitts

TECHNIKin den Details freihändige Feder in Braun über geringfügig abweichenden Graphitvorzeichnungen; Lineal; Vorritzungen; Bleistift wurde auch für Schattierungen am Klötzchenfries verwendet.
POSITIONgesamtes Blatt; die Zeichnung wird sogar teilweise von den Rändern überschnitten
Kommentar: Die Darstellung besteht in einer Kombination aus Schnitt und schräger Untersicht, also der hier sogenannten ‘Gebälkperspektive’, und zeigt das Kuppelfußgesims der Peterskirche über eine Breite von drei Konsolen. Besonders auffällig ist allerdings das vollständige Fehlen von Maßen und Beischriften, wie man sie aufgrund der anderen St.-Peter-Zeichnungen erwarten dürfte.

Zum Aufbau des Gesimses: dreifach faszierter Architrav – in den Faszien befinden sich einfache halbe Rundstäbe; aufsitzendes fallendes [?] Karniesgesims mit anschließender Leiste; glatter Fries; dann im Gesims: Karnies, Klötzchenfries, Eierstab, blockartige Konsolen mit je drei kurzen Kanelluren an jeder Seite, darüber sehr flache s-volutenförmig gerollte Blattkonsolen, gefolgt von einer eigenartig an der Unterseite gekerbten vorspringenden Leiste, kleiner halbrund ausgekehlter Stab und (im wesentlichen) großer halbrund ausgekehlter Stab. – Der Aufbau ist also eigentlich der eines Gebälks, was insofern bemerkenswert ist, als der Architrav nirgends aufliegt.

Der Zeichner bedient sich umfangreicher Schraffuren zur Wiedergabe der Plastizität, allerdings nur im Bereich des Gesimses; in Fries und Architrav fehlen sie völlig, was jedoch nicht damit erklärt werden kann, dass es sich hierbei um weitestgehend ebene Flächen handelt, denn für eine vergleichbare Gestalt der Gesims-Traufleiste verwendet der Zeichner ebenfalls eine wenn auch nur dünne und somit helle Schraffur. Durch Einsatz von Kreuzschraffuren und Krümmung der Linien werden die Helligkeitsabstufungen der einzelnen Details sorgfältig erfaßt. Somit erscheint die Vermutung gerechtfertigt, dass der Zeichner – aus unbekanntem Grund – die Darstellung nicht beendete, was auch eine Erklärung für das Fehlen der Maßangaben sein könnte.

Die Geradlinigkeit der Schrägansicht in der Darstellung gibt keinerlei Hinweis auf eine Wandkrümmung, der das Gesims ja eigentlich zu folgen hat.

Auffällig ist außerdem, dass die mit allen Maßen versehene Zeichnung des Kuppelfußgesimses im Scholz-Skizzenbuch (fol. 21v) je vier ‘Kanelluren’ auch zwischen den vorstehenden Klötzchenkonsolen zeigt, die selbst wiederum an allen drei sichtbaren Seiten jeweils nur drei Kanelluren haben. Die klötzchenförmigen Konsolen der vorliegenden Zeichnung wirken windschief, die vordere scheint eine zurückweichende Stirnseite zu haben, während die mittlere eher einen hängenden, trapezförmigen Pyramidenstumpf darstellt, die rechte scheint dagegen nach vorne zu flacher zu werden.

Die Graphitvorzeichnungen weichen z. T. geringfügig von der ausgeführten Fassung ab, zeigen aber keine wesentlichen Unterschiede. Besonders das Fehlen der Maße, ebenso wie die braune Tinte und die im Gegensatz zur Sicherheit der Zeichnung stehende perspektivische Unsicherheit der Wiedergabe lassen auf eine Kopie nach einem anderen Blatt, nicht aber nach dem Original am Bau schließen. Außerdem sollte man für diesen Fall nicht nur Maßangaben erwarten dürfen, sondern ebenso eine korrektere Darstellung, wie sie vom Zeichner für die Vermessungen antiker Gebälke angewandt wurde.

Die genannten Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass dieses Blatt im größeren zeitlichen Abstand zu den Blättern entstand, die das Projekt Sangallos wiedergeben. Das Vorhandensein dieses Blattes muss also nicht unbedingt gegen die bisher vorgeschlagene Hypothese zur Entstehungzeit jener Zeichnungen sprechen. Dabei ist besonders die Möglichkeit von Relevanz, dass es sich bei der Darstellung des Kuppelfußgesimses um eine Kopie nach einer fremden Zeichnung handeln könnte, denn sie erlaubt für den Zeitpunkt der Ausführung durchaus auch die Annahme einer Abwesenheit des Zeichners von Rom.

Wenn dieses Blatt dagegen als Indiz für eine Anwesenheit des Zeichners in Rom nach der Übergabe der Leitung der Fabbrica an Michelangelo dienen soll, wird wiederum die Frage akut, warum er die letzten Planänderungen Sangallos, wie sie sich im Modell und anscheinend auch in den Salamanca-Stichen niederschlagen, nicht berücksichtigt hat und außerdem wohl offensichtlich nicht das Original am Bau selbst bzw. entsprechende Zeichnungen hierzu als Vorlage benutzte.
Datierung: Für das Kuppelfußgesims wurden im August 1547 Gerüste errichtet, im Februar 1552 war es vollendet.1 Daraus wird man ableiten dürfen, dass die Zeichnung deutlich vor dem August entstanden ist, denn die Erstellung des Gerüstes setzt sicherlich eine abgeschlossene Planung voraus: Da der in der Zeichnung wiedergegebene Zustand noch nicht dem ausgeführten entspricht, könnte – eine Anwesenheit des Zeichners in Rom vorausgesetzt – diesem eine Skizze oder eine früherer Fassung des Entwurfes als Vorlage gedient haben, die dann spätestens in den Frühsommer 1547 zu datieren wäre. Damit fiele die Entstehungszeit des Blattes noch in den hier für den gesamten Codex Destailleur D angenommenen Zeitraum bis Mitte 1547.

 
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