recto: St. Peter: Nebearm: Länggschnitt

82.1   Nebenarm: Längsschnitt

 





[82.1.1.1]




[82.1.1.2] [82.1.1.3] [82.1.1.4] [82.1.1.5]
[82.1.1.6] [82.1.1.7] [82.1.1.8]




Vorbemerkung: Durch die Beschneidung vor allem des rechten Randes sind einige dort vermutlich enthalten gewesene Information, die von großer Bedeutung für das Gesamtbild des Projektes sind und auch durch andere Blätter nicht ersetzt werden können, verloren gegangen. Dies betrifft vor allem den Schnitt durch die Außenwand des Hauptbaukörpers auf Höhe der Nebeneingänge. Von noch größerer Bedeutung aber ist der hier gegebenen Schnitt durch die Räumlichkeiten im Obergeschoss und durch das Dach – in starker Reduktion der Darstellungsgenauigkeit am oberen Blattrand wiedergegeben –, wobei nicht nur ein Schnitt des Entwässerungssystems gezeigt ist, welches sich im Grundriss auf Bl. 85 findet, sondern zugleich eine, wenn auch grobe Andeutung des Profils der Dachfläche, die zumindest zum Zeitpunkt der Entstehung des Blattes im Profil (noch) relativ ‘bewegt’ verlief. Die ausführliche Darstellung dieser beiden Detailbereiche auf dem vorliegenden Blatt stellt ein starkes Argument für die Hypothese dar, die Zeichnungen bzw. ihre Vorlagen hätten nicht nur der Realisierung des Modells gedient, sondern seien direkt für die Bauplanung entstandenBauplanung. Die Zeichnung bestätigt einige Details derjenigen Blätter, die ebenfalls Teile des Obergeschosses oder der Nebenarmordnung wiedergeben (vor allem Bl. 78r), steht aber zu anderen Details im Widerspruch, was zur Ermittlung der relativen Chronologie der Zeichnungen herangezogen werden kann: vgl. z. B. die Schließung der Verbindung zwischen Hauptarmtonnengewölbe und dem dahinter liegenden Oktogon.

In der linken unteren Ecke des Blattes erscheint – neben einigen Kritzeleien, die anscheinend auch eine nicht mehr vollständige Addition umfassen – die Maßangabe „p 32“, die sich möglicherweise auf die Fußbodenanhebung unter Sangallo bezieht, während die parallel zum unteren Blattrand verlaufende unterste Bleistiftlinie kaum als Angabe z. B. der Fußbodenstärke interpretiert werden darf, sondern wohl nur ein Rest einer ursprünglich etwas tiefer ansetzenden Disposition der Darstellung auf dem Blatt ist. Dafür spricht die Durchziehung einiger der senkrechten Linien der anderen Graphitvorzeichnungen (Türöffnungen, Pilaster der kleinen Ordnung).

Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit wird die Zeichnung im Folgenden in ihre Teilbereiche getrennt besprochen.

 

82.1.1 Längsschnitt durch einen Nebenarm

POSITIONgesamtes Blatt
NUMERIERUNG / POSITION: „10“ / am unteren Blattrand, Mitte der linken Blatthälfte, 180°
TECHNIKteilweise freihändige Feder in hellem Braun über Graphitvorzeichnungen besonders für die Horizontalen und die Details; Lineal und Zirkel
HANDAD
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 9 1/12“ / „palmo del modello
MASSSTABungefährer Gesamtmaßstab der Zeichnung: ca. 1 : 120

 

 








Beispielwerte
palmi
mm Maßstab














lichte Höhe der Türöffnung 33 1/2 = 75,5 1 : 98







lichte Weite der Türöffnung 15 [—] = 37,0 1 : 90







lichte Weite der Nebenkuppel 72 [—] = 125 1 : 128







lichte Höhe der Nebenkuppel 39 1/2 = 63 1 : 138







Höhe der Pilasterordnung 76 1/2 = 173 1 : 98







lichte Höhe der Oktogone 58 3/4 = 107 1 : 121







Kommentar: Dargestellt ist ein vom Fußboden der Basilika bis zum Dach reichender, entlang der Mittelachse verlaufender, vertikaler Schnitt durch einen der Seitenarme mit den Nebenkuppeln sowie den angrenzenden oktogonalen Nebenräumen im Obergeschoss. Außerdem wird der diesen kreuzende Nebenarm im Querschnitt mit der Innenwand einer der Nebeneingangsfronten und den im Profil gezeigten Ädikulen an den Flanken des Konterpfeilers bzw. am Eingang zum Eckristalitraum wiedergegeben.

Die Darstellung beginnt links mit dem Querschnitt eines Hauptkreuzarms und reicht rechts – aufgrund der Beschädigung des Blattes nicht mehr vollständig sichtbar – bis zur Innenseite der Außenwand. Aus Symmetriegründen ist die vorliegende Darstellung auf alle vier Nebenkuppelräume und die entsprechend angrenzenden Bereiche sowie spiegelsymmetrisch auch auf die Nebenarmwände übertragbar.

 

82.1.1.1 Dachzone

Besonders interessant an diesem Bereich der Zeichnung ist die Angabe des Entwässerungssystems für das Dach im Querschnitt, wobei der Zeichner sogar die durchlaufende Schräge eines der Abflusskanäle einzeichnet, obwohl diese die Nebenkuppel überschneidet. Daraus kann abgeleitet werden, dass in der Zeichnung vermutlich aus Raummangel verschiedene Tiefen im Schnitt übereinander projeziert sind. Leitend dürfte also auch in der vorliegenden Darstellung wiederum weniger ein zu unterstellendes Interesse des Zeichners für eine maßstabsgerechte Wiedergabe des Baus gewesen sein, als vielmehr sein Bemühen, möglichst viele Aussagen über den Bau in einer Darstellung zusammenzufassen. Im Schnitt wird daneben zwischen linkem Oktogon und der Nebenkuppel eine der zu dem höher liegenden Abflusskanal rechtwinklig verlaufenden Sammelleitungen wiedergegeben, die sich im unteren Bereich ausweiten. Diese Zeichnung des Enwässerungssystems wird wiederum teilweise durch eine dreifach gebrochene Linie überschnitten, die offensichtlich den Dachverlauf über den Oktogonen und der Nebenkuppel wiedergeben soll; ihr Abstand zu den Oktogon- und Nebenkuppelscheiteln ist aber offensichtlich aufgrund des geringen hier auf dem Blatt zur Verfügung stehenden Raumes, unmaßstäblich niedrig wiedergegeben.

 

 




Maßangaben
palmi






Distanz Entwässerungskanal – Dach 5 [—]



Tiefe des Lichtschachtes über einem Oktogon 11 1/2



Distanz Entwässerungskanal – Oktogongesims 39 1/2



 

82.1.1.2 Querschnitt des Hauptkreuzarms

Der Hauptarm wird im Querschnitt nur summarisch wiedergegeben; auf die Wiedergabe eines Apsisbereichs, der im Hintergrund – in Analogie zum Nebenarmquerschnitt weiter rechts in derselben Zeichnung – zu sehen sein müsste, verzichtet der Zeichner. Hierfür mag zum einen die höhere Komplexität der Darstellung, zum anderen aber auch das Vorhandensein des Apsisaufrisses in anderen Blättern ausschlaggebend gewesen sein.1 Lediglich das Durchlaufen des Gesimses der 12-palmi-Ordnung wird durch vier horizontale Linien angezeigt, die an den entsprechenden Punkten der im Profil dargestellten Ordnung ansetzen.

Die freihändig gezogene Bogenlinie des Tonnengewölbes ist offensichtlich – wiederum sicherlich aufgrund des Raummangels auf dem Blatt – zu flach geraten und erscheint daher weder gestelzt noch im oberen Bereich tatsächlich halbkreisförmig. Die in sie einschneidende Fensteröffnung, in welche einer der schräg durch das Dach geführten Lichtschächte mündet, folgt schon der Gewölbekrümmung, was nicht nur mit der erwähnten Stauchung der Linie in der vorliegenden Zeichnung zusammenhängt, sondern – die entsprechende Stelle am Modell sowie der Maßwert für die lichte Höhe der Öffnung („p 17“) machen dies deutlich – durch die relativ große Höhe dieser Öffnung im Tonnengewölbe bedingt ist.

 

 




Maßangaben zum Nebenarm
palmi






Scheitelhöhe der Archivolte über dem Kämpfergesims der 10-palmi-Ordnung 36 [—]



Gesamthöhe der 10-palmi-Ordnung 76 1/2



Anhebung des Fußbodenniveaus [?] 32 [—]



lichte Höhe der seitlichen Lichtöffnung im Tonnengewölbe 17 [—]



Höhe des unteren Ansatzes der Lichtöffnung über dem Hauptgesims 5 2/3



Tiefe der Lichtöffnung bis zur Außenseite der Oktogonwand 7 2/3



Distanz Archivolte des Nebenarmeingangs – unterer Rand der Lichtöffnung 36 [—]



82.1.1.3 Inneres Oktogon

Der Durchmesser beider hier wiedergegebenen Oktogone beträgt jeweils „p 46“; die Scheitelhöhe jeweils „p 58 3/4“. Sie werden durch eine einfache zylindrische Öffnung im Scheitel der Kuppel beleuchtet. Diese Öffnung hat eine Länge von „p 11 1/2“, eine Durchmesserangabe fehlt zwar hier, findet sich jedoch im Grundriss des Obergeschosses auf Bl. 78r.

Das in der Zeichnung links befindliche, innere – d. h.: näher am Kreuzarm liegende – Oktogon ist zwar deutlich maßstabs- und damit proportionsgerechter dargestellt als das rechte, äußere, trotzdem hat der Zeichner nahezu sämtliche auf beide Räume anwendbaren Maße in das letztere Oktogon eingetragen. So erscheint im linken Oktogon nur eine Angabe für den Scheitelabstand der halbrund geschlossenen Wandöffnungen zum Scheitel der sie überfangenden Nischenrahmung („p9 1/2“).

Sowohl in den beiden Oktogonen als auch in der Nebenkuppel und sogar im genannten zylindrischen Lichtschacht zu dessen Beleuchtung durch das Opaion versucht der Zeichner, mittels Schraffuren eine gewisse Räumlichkeit der Darstellung zu erreichen und den Verlauf der gewölbten Flächen anzudeuten.

Neben dem Oktogon ist ein Lichtschacht eingezeichnet, der der Kuppelkrümmung des Oktogons folgend in den Kreuzarm führt, wo die Öffnung dann aber nur wenig über dem Hauptgesims liegt. Es handelt sich um die die Kreuzungspunkte der Nebenarme mit den Hauptkreuzarmen beleuchtenden Lichtschächte.2

82.1.1.4 Nebenkuppel mit Tambour

Tambourordnung: Die Tambourordnung der Nebenkuppel besteht aus korinthischen Säulen vor Pilasterbündeln, über denen sich jeweils das Gebälk verkröpft. Diese Verkröpfung ist nur skizziert, zeigt aber an den seitlich ansichtigen Teilen deutlich einen überall nachträglich eingezeichneten bzw. ergänzten Polsterfries, was als Hinweis auf eine Änderung gedeutet werden kann, aber nicht muss. Diese Verkröpfung setzt sich aber nicht nach oben fort, indem sie z. B. Kuppelrippen trägt: Insofern ist ihr Auftreten hier tektonisch nicht sinnvoll zu begründen. Überhaupt ist für die Innenseite der Nebenkuppel selbst – ebenso wie für die Kuppeln der Oktogone – laut Ausweis der vorliegenden Zeichnung keine Oberflächengestaltung vorgesehen gewesen.

 

 




Maßangaben zur Nebenkuppel-Tambourordnung
palmi






Fußgesims: Architravhöhe 1 1/6



Fußgesims: Frieshöhe [—] 3/4



Fußgesims: Gesimshöhe 1 1/3



lichte Weite der Öffnungen zu den Oktogonen 8 7/12



lichte Höhe der Öffnungen zu den Oktogonen 17 1/2



Interkomlumnien der Pilasterbündel 10 1/6



Gesamthöhe der Säulen inkl. Basis und Kapitell 18 1/3



Schafthöhe der Säulen/Pilaster 15 1/4



Schaftbreite der Säulen 4 1/2



Gesamthöhe des Gebälks 3 1/6



Architravhöhe 1 1/6



Frieshöhe [—] 2/3



Gesimshöhe 1 1/3



Vorkragen des Gesimses gegenüber dem Fries 1 [—]



Beleuchtung: Auffällig ist, dass für die Nebenkuppel nicht nur keine Beleuchtung durch eine Öffnung im Scheitel vorgesehen ist, obwohl sie – wie die genaue Wiedergabe der in die Dachzone ansonsten eingeschnittenen LichführungenLichtregiezeigt – ebenso leicht wie die Beleuchtung der Oktogone möglich gewesen wäre! Eine Öffnung mit Laterne passte offensichtlich nicht in Sangallos Konzept: Sie hätte nicht nur deutlich – vielleicht in Sinne des Architekten sogar: zu markant – aus dem Dach heraus geragt, sondern möglicherweise auch seinem hier angenommenen Beleuchtungskonzept widersprochen: Durch die Schließung der Nebenkuppeln sollten die unter ihnen liegenden Räume im Gegensatz zur Hauptkuppel praktisch vollständig im Dunkel bleiben; der indirekte Licheinfall aus den ebenfalls nur durch die Scheitelöffnungen schwach beleuchteten Oktogonen dürfte zu vernachlässigen gewesen sein. Die Nebenkuppelräume und Nebenarme wären somit lediglich über die Fensteröffnungen oberhalb der Nebeneingänge des Hauptbaus direkt sowie aus den Hauptkreuzarmen indirekt beleuchtet worden.

Es erscheint denkbar, dass diese künstliche ‘Verdunkelung’ der Nebenarme – anders kann man besonders das Fehlen einer Scheitelöffnung in den Nebenkuppeln kaum deuten – eine Konsequenz der hier angenommenen Absicht Sangallos für eine differenzierte Lichtregie des Gesamtbaus ist: Da die Beleuchtung des Kuppelraums aufgrund der relativ wenigen und nur indirektes Licht einlassenden Öffnungen des Tambours und trotz der dort eingeschnittenen steilen Lichtschächte als vergleichsweise gering anzusehen ist, wäre eine entsprechend weiter gehende Verdunkelung der Nebenkuppeln aufgrund ihrer Unterordnung innerhalb des Raumsystems eine geradezu notwendige Folge. Die Beleuchung des unteren Bereichs der Nebenkuppelräume durch das sich hier bündelnde, aus den Fensteröffnungen über den Nebeneingängen einfallende Licht markierte dabei eher die Funktion dieser Räume als Kreuzungspunkte des von den Nebenarmen gebildeten ‘Umganges’ um den Hauptkuppelraum – ein bei entsprechenden Prozessionen sicherlich wirkungsvoller Effekt.

 

82.1.1.5 Äußeres Oktogon

Datierung: Die detaillierten Maßangaben der vorliegenden Zeichnung sowie die Tatsache, dass zumindest eines der inneren Oktogone schon unter Sangallo ausgeführt wurde, stehen anscheinend im Widerspruch zu den Maßangaben,3welche Zander und Docci geben.4 Hierfür lassen sich vorrangig zwei Erklärungen annehmen: Entweder haben Zander und Docci eines der Oktogone vermessen, die nicht mehr unter Sangallo und nach einem geänderten Entwurf errichtet wurden, oder aber es fanden schon Planänderungen unter Sangallo selbst statt, die damit für eine Entstehung der vorliegenden Zeichnung vor dem Beginn der Bauarbeiten am ersten Oktogon sprechen würden. Eine dritte denkbare Erklärung, die nachträgliche Veränderungen an den nach dem vorliegenden Entwurf ausgeführten Oktogonen unter Sangallos Nachfolgern, lässt sich aufgrund der strukturellen Komplexität und der damit einher gehenden technischen Schwierigkeiten wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen:5 Besonders angesichts der Geringfügigkeit der Abweichungen und der relativen Unzugänglichkeit der Räume für die Öffentlichkeit wäre ein solcher Umbau kaum zu rechtfertigen, zumal sich nachträgliche Änderungen in der Wand aufgrund des technisch aufwendigen, aber nur dünnschaligen, von ihr getragenen spinapesce-Kuppelgewölbes unverhältnismäßig kompliziert gestaltet hätten. Somit dürfte die Zeichnung bzw. ihre Vorlage vor der Errichtung des ersten Oktogons, also spätestens Anfang 1546, vielleicht sogar schon vor 1545 entstanden sein. Setzt man die zweite der genannten Erklärungen voraus, so kann man aus den Abweichungen zwischen Zeichnung und Vermessungsdaten zudem schlussfolgern, dass der Anonymus vor der Ausführung der ersten Oktogone keinen Zugang mehr zu den Daten der Fabbrica hatte, was gut mit ähnlichen Beobachtungen anhand anderer Zeichnungen des Codex Destailleur D übereinstimmt.

 
Vergleich einiger Maßangaben mit dem heutigen Zustand6

 





Vergleichswert (palmi) Meter am Bau (in m)








Niveauunterschied Oktogone / Basilika 122 27,5 26,00




Durchmesser der Oktogone [46] 10,28 9,75




Durchmesser des Oktogon-Opaions [9] 2,01 1,78




Durchmesser des Opaion-Ringes
[keine Angaben]
2,69




Kommentar: Der Vergleich schon dieser Werte macht deutlich, dass noch relativ erhebliche Änderungen zwischen dem hier dokumentierten Planungsstand und der Bauausführung erfolgten. Da – wie Zander und Docci gezeigt haben7 – die Ausführung des von Sangallo für die Oktogonkuppeln verwendeten spinapesce-Systems von nicht geringer Komplexität, also eine durchaus nicht triviale bautechnische Aufgabe darstellt und somit erhebliche Planungsgenauigkeit voraussetzte, können diese Änderungen auch nicht ‘ad hoc’ während der eigentlichen Bauausführung erfolgt sein, woraus sich ein eher größerer zeitlicher Abstand zwischen dem hier wiedergegebenen Planungsstand und der Realisierung selbst ergibt. Jedenfalls lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der Zeichner erst nach Ausführung des ersten Oktogons noch Zugang zum Bau oder zu Planungsunterlagen gehabt haben könnte, ohne die Veränderungen hier oder an anderer Stelle zu dokumentieren.

Gestaltung: Nicht nur die grundlegenden Maße der ausgeführten Oktogone, sondern auch ihre Gestaltung und Gliederung weichen deutlich von dem in der vorliegenden Zeichnung wiedergegebenen ab: Die hier dargestellte Version zeichnet sich durch eine extreme Einfachheit aus, die selbst auf ein Gesimsband am Kuppelansatz, eine Sockelzone oder andere architektonische Gestaltungselemente fast vollständig verzichtet. Lediglich die hohen, die Wandöffnungen und Nischen rahmenden flachen Halbrundnischen sowie das außergewöhnliche, jedoch an allen vier Schnittstellen gleich dargestellte Profil der diese Nischen rahmenden Bänder – ein flacher, konkav-keilförmiger Einschnitt – sind eindeutig als Mittel klarer architektonischer Gliederung anzusprechen, die nicht nur in einfacher Reduktion selbst der grundlegendsten Elemente einer Wandgestaltung bestand, sondern – dies beweist die Gestaltung der Nischen – eine wohlüberlegte, absichtlich auf die genannten Bereiche beschränkte Formensprache einsetzte. Dagegen weisen die ausgeführten Oktogone ein strukturiertes Kämpfergesims, das die Bögen der Nischen trägt, Tondi in den Zwickeln zwischen den Bögen und ein abschließendes, deutlich profiliertes Kranzsgesims auf.8 Die Wandfläche der in der Zeichnung dargestellten Oktogone wird durch halbkreisförmig geschlossene, hohe und schmale Nischen von relativ geringer Tiefe gegliedert, welche den Rahmen sowohl für die Öffnungen zu den Verbindungsgängen zwischen dem Nebenkuppeltambour und den Oktogonen als auch zwischen diesen selbst sowie den in die restlichen Nischen eingetieften Halbrundnischen abgeben, denen ein Kämpfergesims fehlt. Da die Nischen von einem Band gerahmt werden, das jeweils in einer das Oktogon sehnenartig schneidenden Ebene liegt, wird eine doppelte Krümmung der Bögen vermieden.

 

 




Maßangaben zu den Durchgangsöffnungen bzw. Nischen
palmi






lichte Höhe der großen Nischen 29 [—]



Breite des rahmenden Bandes 1 5/6



Höhe der eingestellten Nischen 19 1/2



Abstand der Scheitelpunkte 9 1/2



lichte Weite der großen Nischen 11 1/4



lichte Weite der eingestellten Nischen 7 1/2



Sockelhöhe der eingestellten Nischen 4 1/4



 

Durch eine ganghohe Öffnung nach rechts ist das rechte Oktogon mit der Außenseite des Baues durch einen mindestens „p 12“ langen Gang verbunden, dessen Mündung durch die Beschädigung des Blattes am rechten Rand nicht mehr zu erkennen ist. Hiermit kann nur die dem Grundriss auf Bl. 78 entsprechende Öffnung in der Außenwand gemeint sein, durch die eine zusätzliche Beleuchtung erfolgen konnte.

82.1.1.6 Eingang des Nebenarms: Gewölbe und Wand mit Ädikula

Gewölbezone: Während sich der Zeichner bemüht hat, im Aufriss des Nebenarms die Krümmung der Gewölbetonne mit der Verkürzung in der Ansicht der Kassetten wenigstens andeutungsweise wiederzugeben, hat er das Profil der Kassettierung in der Scheitellinie des Gewölbes nicht einmal angedeutet.

Die oktogonalen Kassetten sind zwar freihändig eingezeichnet, der Zeichner hatte den Bereich aber zuvor mit einem Gitternetz aus feinen Bleistiftlinien zur Aufteilung versehen. Die relativ grobe und oberflächliche Darstellung gerade dieses Bereichs lässt darauf schließen, dass der Zeichner – sofern er sich tatsächlich, wie aufgrund anderer Zeichnungen anzunehmen ist, gerade besonders für Gewölbeornamente interessiert haben sollte – diesen Bereich in einer anderen Darstellung detaillierter wiederholen wollte. Die skizzierte Aufteilung der eigentlichen Gewölbetonne in oktogonale Kassetten mit kleineren Romben an den Kreuzungspunkten der Grate wird ergänzt durch hochrechteckige Kasseten in den abschließenden Gurtbögen. Auffällig ist dabei, dass die hinterlegten Pilaster der toskanischen Ordnung des Nebenarms nicht nur eine entsprechende Verkröpfung im Gebälk nach sich ziehen, sondern sich zudem in einem eigenen, rechteckig kassettierten Band zwischen Gurtbögen und Tonne fortsetzen.

Zu prüfen bleibt, inwieweit das hier skizzierte Gewölbeschema mit demjenigen übereinstimmt, das unter Raffael mit der Tonne des Südsüdwest-Durchgangs errichtet wurde. Gerade dessen Einschalung ist anscheinend in der Zeichnung des Jan van Scorel in der Biblioteca Apostolica Vaticana dargetellt.9 Sie wird von Carpiceci in die Jahre 1521–1524 datiert. Die entsprechende, nächstgelegene Einwölbung zwischen dem Südost-Kuppelpfeiler und dem Süd-Südost-Konterpfeiler ist erst auf einer Zeichnung Heemskercks von ca. 1538 dargestellt.10

Das Kämpfergesims der Tonnengewölbe wird vom Zeichner mit einer Gesamthöhe von 6 palmi angegeben; dies widerspricht jedoch der Summe der ebenfalls angegebenen Einzelwerte: Kapitellzone („p 3 1/2)“ + ‘Halszone’ („p 2 1/3“): Die Gesamthöhe dürfte sich nach diesen Angaben nur auf 5 5/6 palmi addieren!

Ansonsten ist die Darstellung der nicht weiter untergliederten Wandzone des Nebenarms hier vor allem wegen der Ädikulen von Interesse.

Ädikulen: Zu den Ädikulen gibt der Zeichner nur sehr wenige Hauptmaße, was sicherlich auch in diesem Falle darauf zurück zu führen sein dürfte, dass er hierfür eine eigenstänidge Zeichnung vorgesehen hatte, die in den genauen Maßzeichnungen von Bl. 91v auch vorliegt.11

Auffällig ist, dass beide hier im Aufriss wiedergegebenen Ädikulen vom Zeichner als durch Dreiecksgiebel abgeschlossen dargestellt werden, während die in Seitenansicht erkennbaren des geschnittenen Nebenarms sich aufgrund der ungleichmäßig abgenehmenden Schraffuren als von Segmentbogengiebeln geschlossen interpretieren lassen, da diese Art der Schraffur vom Anonymus Destailleur häufig, wenn auch allerdings nicht konsequent zur Darstellung von gekrümmten Flächen verwendet wird.

Entsprechend ihrer Funktion als Eingänge zum Umgang bzw. zum Eckrisalitraum zeigen sie keine weitere Binnengliederung, sondern lediglich die direkt eingestellte dorisierende Kämpferordnung, die den Durchgangsbogen trägt. Dass die Eingänge selbst als solche nicht explizit – z. B. durch Einblicke in die anschließenden Räume – kenntlich gemacht sind, spricht nicht gegen diese Interpretation, zumal der Fortfall der Sockelzone über dem Fußbodenniveau deutlich genug darauf hindeutet, dass es sich hierbei um Öffnungen handelt.

Für diese Eingänge gibt es in Labaccos Modell selbst allerdings keine Hinweise, dagegen jedoch in Salamancas Stich des Grundrisses sowie in Vasaris Fresko in der Sala dei Cento Giorni des Palazzo della Cancelleria in Rom: Im Stich erscheinen die Eingänge jeweils in Nord-Süd-Richtung, während die in Ost-West-Ausrichtung liegenden Ädikulen geschlossen sind. Damit bekommt der Bau eine wenn auch wohl nur sehr leichte Orientierung in Nord-Süd-Richtung, die der durch den Eingangsbereich vorgegebenen Ost-West-Ausrichtung entgegenläuft. Folgt man dem Stich, so bestätigt dieser die oben geäußerte Annahme, dass der in der vorliegenden Zeichnung dargestellte Nebenarm derjenige sei, der im Südwest-Quadranten des Hauptbaus in Ost-West-Richtung verläuft.

In Vasaris Fresko dagegen sind die Eckräume genau entgegengesetzt durch jeweils in Ost-West-Richtung verlaufende Öffnungen in den Ädikulen zugänglich, während es keine Eingänge in nord-südlicher Ausrichtung gibt. Somit bekäme der Bau also eine wenn auch schwache zusätzliche Richtungstendenz. Dementsprechend müsste der hier dargestellte Bereich ein anderer sein. Da Labacco aber sicherlich einen privilegierteren Zugang zur Planung hatte als Vasari, wird man seiner Angabe im Grundriss den Vorrang geben dürfen, auch wenn die entsprechenden Durchgänge in dem immerhin unter seiner Leitung entstandenen Modell fehlen: Am Modell läuft in Höhe der Basenoberkante auch in den Ädikulen eine Sicke durch, deren Funktion nicht deutlich ist: In der Zeichnung fehlt diese, dort geht lediglich eine Bleistiftlinie durch, die der Zeichner aber nicht nachgezogen hat, weil sie offensichtlich nur als Konstruktionshilfslinie für die gemeinsame Basenhöhe von dorica-artiger Nebenarmordnung und Komposita der Ädikulen diente. Die Abstufung am Modell dürfte als Kompromiss zur Schließung der Durchgänge zu interpretieren sein, deren eigentlich zu erwartende Öffnung eine Gestaltung der Eckrisalit-Räume erfordert hätte und daher vermutlich aus Einsparungsgründen unterblieb.

Die Graphitvorzeichnungen der Ädikulen sind nur locker skizziert und weichen dadurch von den Ausführungen mit Tinte deutlich ab.

 

 





Maßangaben zu den Ädikulen palmi m








Schaftbreite 5 = 1,117




lichte Gesamthöhe des Giebelfeldes 5 = 1,117




Abstand der Säulen zur kleinen Ordnung (‘nach links’) 4 = 0,894




Abstand der Säulen zur kleinen Ordnung (’nach rechts‘) 6 = 1,340




Toskanische („kleine“) Ordnung: Schaftbreite 10 = 2.234




Toskanische („kleine“) Ordnunge: Schaftlänge 64 = 14,298




Toskanische Ordnung: Gesamthöhe 76 = 16,978




82.1.1.7 Querschnitt des Nebenarms mit Eingangswand

Stirnwand des Nebenarms: Auf dem umlaufenden Kämpfergesims der sog. ‘kleinen’ Ordnung sitzt das Fenster über dem Nebeneingang direkt auf, welches hier mit allen wesentlichen Maßen – unüblicherweise sogar einschließlich der Tiefenerstreckung – wiedergegeben ist. Zwar fehlen Angaben zur Positionierung des Fensters in der Wand selbst, aber – soweit man das aus dieser Zeichnung schließen darf – es wird deutlich, dass es sich nicht axialsymmetrisch im Wandfeld befindet, sondern gegenüber der Symmetrieachse der Wandfläche etwas nach rechts verschoben ist, wie dies aufgrund der Symmetrieerfordernisse der Außenwandgestaltung auch zu erwarten ist.

Trotz der vorauszusetzenden (spiegel-)symmetrischen Übertragbarkeit des in der vorliegenden Zeichnung dargestellten Bereiches auf die acht Nebenarmachsen des Gesamtbaus, ist durch die hier angedeutete Verschiebung – zusammen mit dem wiedergegebenen Tonnengewölbe des Durchgangs – eine versuchweise Lokalisierung des in der vorliegenden Zeichnung dargestellten Bereiches möglich: Aufgrund der nach den erhaltenen Ansichten und den Unterlagen der Fabbrica rekonstrierbaren Bauabfolge, dürfte der hier dargestellte Nebenarm der von Ost nach West verlaufende des Südwestquadranten sein, das Gewölbe mit der Kassettendecke also höchstwahrscheinlich dasjenige von Raffael errichtete und von den beiden darbestellten Oktogonen das linke wiederum das südlichere der beiden ausgeführten, in denen sich heute das Archivio storico der Reverendissima Fabbrica di San Pietro befindet;12

 




Maßangaben
palmi






Fensteröffnung über dem Nebenarmeingang



lichte Öffnungsweite (innen) 16 [—]



lichte Öffnungsweite (außen) 12 1/4



lichte Öffnungshöhe (innen) 29 1/6



Länge des Öffnung (Wandstärke?) 12 1/2



Breite des Fensterrahmens (innen, seitlich) 1 3/4



Höhe der Fensterbank (innen) 4 2/3



Portalöffnung für den Nebeneingang: Die hier wie auch noch später am Modell nur als einfaches Rechteck wiedergegebene Türöffnung des Nebenarms weist bei einer Höhe von „p 33 1/2“ nur im unteren Bereich einen Wert für die lichte Weite („p 15“) auf, während jede zeichnerische Hinweis oder eine Maßangabe für eine Verjüngung des Portals fehlt. Diese ist jedoch in Bl. 76r durch einen Wert von „p 14 2/3“ für die obere lichte Weite angegeben. Da auch hier, wie noch in Bl. 76r, zudem jegliche Hinweise auf eine Rahmung der Nebeneingänge fehlen, wird man schlussfolgern können, dass Bl. 82r kurz vor Bl. 76r entstand.
Lichte Weite des Nebenarmes: Problematisch sind die Maßangaben des Zeichners für die lichte Weite des Nebenarmes: Während die sich gegenüberliegenden Säulen der Ädikulen einen Abstand von „p 58“ zueinander haben sollen, beträgt dieser Wert für die Pilaster der ‘kleinen’ Ordnung angeblich nur „p 26 3/4“ – es kann sich dabei also nur um ein Versehen des Zeichners handeln. Aber auch bei der Maßangabe für den Abstand der hinterlegten Pilaster der kleinen Ordnung gibt es einen Widerspruch: Während dieser in Höhe der Ädikulengiebel nämlich „p 60 3/4“ betragen soll, ist der Vorsprung der vorderen Pilaster gegenüber diesen mit „p 4“ angegeben – verdoppelt man diesen Wert und zieht ihn von den erwähnten „p 60 3/4“ ab, verbleibt ein Rest von 52 3/4 palmi: Demnach dürften die Ädikula-Säulen, die zueinander eine größere Distanz aufweisen, gar nicht sichtbar sein. Entweder hat der Zeichner sich also auch hier in einem oder sogar mehreren Werten geirrt, oder aber er hat die Ädikulen ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche Überdeckung in einer korrekten Orthogonalprojektion dargestellt.
Ädikulen: Während die im Nebenarm im Profil wiedergegeben Ädikulen mit ihren Giebeln deutlich die Unterkante des durchlaufenden Kämpfergesimses berühren, trifft dies zumindest für die Segmentgiebel-Ädikulen am Modell nicht zu: Deren höchster Punkt liegt knapp unterhalb des Gesimses. Die sich nach oben leicht verdichtenden Schraffuren, die der Zeichner hier auf die Giebel der im Profil gegebenen Ädikulen legt, lassen – entsprechend seiner sonstigen Gewohnheit – vermuten, dass diese als Segmentbogengiebel aufzufassen sind.

Die links im Profil wiedergegebene Ädikula kann – aufgrund des hinter ihr im Konterpfeiler verlaufenden Durchgangs – nur eine Flachnische rahmen; dagegen könnte die rechte Ädikula einen weiteren Eingang zu dem Eckraum überfangen, der sich laut Bl. 78r sowie dem Grundriss-Stich Salamancas im Eckrisalit des Hauptbaus befindet.13

82.1.1.8 Eingangswand zum Eckrisalit

Da die Ädikula rechts in der Zeichnung keine Binnengliederung der von ihr überspannten Wandfläche aufweist, wird man – wie oben schon ausgeführt – annehmen dürfen, dass diese insgesamt zugunsten einer großen Öffnung zum Erdgeschossraum des Eckrisaliten wegfallen sollte. Diese wäre damit damit – analog dem Eingang zum Umgang links in der Zeichnung – erheblich größer ausgefallen als der Nebeneingang selbst!

Ein Hinweis auf die Gewölbekassettierung hat der Zeichner, sicherlich aus Symmetriegründen hinsichtlich des schon links daneben wiedergegeben Gewölbes, unterlassen. Lediglich am rechten Blattrand findet sich eine Schraffur, die verdeutlicht, dass auch dieser Bereich als gewölbt anzusehen ist. Durch die Beschneidung des Blattes am rechten Rand sind Hinweise auf die Struktur der Eingangswand sicherlich verloren gegangen, auch wenn man annehmen darf, dass sie kaum zusätzliche Details zur Rahmung der Nebeneingänge enthalten haben, da der Zeichner sie sonst im Aufriss auf demselben Blatt hätte herstellen können. Eher ist anzunehmen, dass ihm betreffende Informationen (noch) nicht vorlagen.

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