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recto: St. Peter: Lehrgerüst, palmo romano

112.1   St. Peter: Lehrgerüst; palmo-romano-Maßstab

 



112.1.1

112.1.2


Vorbemerkung: Dieses Blatt stellt eine wichtige Verbindung dar sowohl zu entsprechenden Blättern der Scholz- und Goldschmidt-Sketchbooks im New Yorker Metropolitan Museum of Art – wenn diese auch für eine Identifizierung des Zeichners mit Jacobus Bos nicht hinreichen dürften (vgl. unten die Kommentare und die daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen) –, als auch zu den Blättern in der Sammlung Tessin des Stockholmer Nationalmuseums. Die Überschneidungen mit den anderen Darstellungen der Lehrgerüste, besonders aber mit Bl. 113r des vorliegenden Codex, lassen eine scharfe Trennung der Analysen nicht zu, so dass zum einen Wiederholungen in den Kommentaren und der Argumentation nicht zu vermeiden sind, andererseits nur die zusammenfassende Lektüre aller diesbezüglichen Kommentare ein umfassendes Bild zu geben vermag.1

Obwohl die Darstellung des Lehrgerüstes und des palmo romano offensichtlich zusammen gehören und auch fast ineinander übergehen, werden sie hier als getrennte Einzelzeichnungen besprochen.

112.1.1 Lehrgerüst für die Einwölbung der Kreuzarme von St. Peter

POSITION: mittleres Blattdrittel
NUMERIERUNG / POSITION: „9“ / rechte untere Blattecke, 180°
TECHNIK: teilweise freihändige Feder in Braun; Lineal, Zirkel; Vorzeichnungen mit Bleistift
HANDMdAD 
Anmerkung: Es handelt sich mit Sicherheit nicht um eine Zeichnung des Anonymus Destailleur selbst, obwohl einige große Ähnlichkeiten bestehen.
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 9 – 28“ / „palmo [romano]“
Anmerkung: Der Zeichner verwendet zur Bemaßung nur palmi und minuti unter Übergehung der oncia, obwohl diese auf dem beigegebenen Maßstab eigens als vermittelndes Teilmaß vermerkt ist. Dies lässt darauf schließen, dass er möglicherweise mit diesem Maß nicht vertraut war.
MASSSTABungefährer Gesamtmaßstab der Zeichnung: 1 : 95

 

 









Beispielwerte palmi minuti mm
Maßstab
















lichte Weite zwischen den Friesen des Gebälks 106 28 = 248 1 : 96








Abstand unterer Querbalken - Gesimsoberkante 24 11 = 53 1 : 102








Länge des unteren Querbalkens 49 3 = 115 1 : 95








Länge des oberen Querbalkens 80 2 = 188 1 : 95








Länge eines unteren, großen Diagonalbalkens 59 8 = 130 1 : 103








Länge eines oberen, großen Diagonalbalkens 39 41 = 91 1 : 97








Länge des oberen, mittleren Stützbalkens 18 5 = 40 1 : 101








Höhe des unteren, mittleren Dreiecks 13 4 = 31 1 : 94








Darstellungsart: Die Zeichnung gibt in annähernd orthogonalperspektivischem Aufriss eines der großen Lehrgerüste wieder, die für die Einwölbung der Kreuzarmtonnen von St. Peter benutzt wurden. In auffälligem Kontrast zu ähnlichen Darstellungen – wie z. B. in Bl. 113r – gibt es hier keine perspektivischen Elemente, was vermutlich nicht nur auf unterschiedliche Zeichner, sondern ebenso auf unterschiedliche Vorlagen dieser beiden Blätter zurückzuführen sein dürfte: Dass die vorliegende Zeichnung auf einer Vorlage beruhen dürfte, lässt sich sowohl aus der genauen Einpassung in das Blatt als auch aus der relativ sicheren Darstellung ableiten, die nur in wenigen Bereichen leichte Unstimmigkeiten aufweist. Gegen diese Annahme einer Vorlage ließe sich allerdings einwenden, dass die Graphitvorzeichnungen des vorliegenden Blattes durchaus auf eine unabhängige Entstehung verweisen könnten.

Während der Hauptgegenstand der Darstellung, das Lehrgerüst mit dem Bogen der Wölbung, mit Tinte über Graphitvorzeichnungen ausgeführt wurde, unterblieb dieser zweite Arbeitsschritt bei dem offenbar unmaßstäblich und nur grob skizzierten Gebälk der großen 12-palmi-Innenordnung. Entweder konnte sich der Zeichner hier also auf bessere Darstellungen verlassen, woraus z. B. eine gegenüber der Zeichnung [91.2.2.1] auf Bl. 91v (vgl. S. §) relativ spätere Datierung gefolgert werden könnte, oder aber er hatte für diesen Bereich an sich kein ausgeprägtes Interesse, weshalb ihm eine abkürzende Skizze genügte. Das einzige, freihändig mit Tinte und ohne Graphitvorzeichnungen erscheinende Detail im unteren Bereich der Zeichnung ist die Entfernungsangabe zwischen den sich gegenüber liegenden Friesen der großen Innenordnung, die also offensichtlich die lichte Weite der Kreuzarme angeben soll: „p 106 – 28“. Diese Maßangabe ist insofern von Bedeutung, als sie in Bos’ Stich nicht erscheint, ihm also möglicherweise nicht bekannt war. Schon dies macht eine Anfertigung des Lafréry-Stiches nach dem vorliegenden Blatt unwahrscheinlich. Eine umgekehrte Abhängigkeit ist aufgrund dieser und weiterer Unterschiede mit Sicherheit auszuschließen.

Wie erwähnt, ist die Art der Verwendung des palmo romano durch den Zeichner zumindest ungewöhnlich, angesichts der beigegebenen Maßstabszeichnung sogar fast unverständlich: Dem palmo-Wert folgt in den Maßangaben direkt der minuto-Wert, obwohl der Zeichner in den palmo-Maßstab die „oncia“ richtig als die 5 minuti zusammenfassende Unterteilung des palmo romano notiert. Diese Schreibweise ist umso bemerkenswerter, als sie – ebenso wie die anscheinend ‘erklärende’ Darstellung des palmo romano in diesem Zusammenhang überhaupt – keine allzu große Vertrautheit des Zeichners mit diesem Grundmaß und seiner Unterteilung vermuten lässt: Dass er weder die Schreibweise des Anonymus Destailleur übernimmt, der für den palmo in anderen Zeichnungen gelegentlich seine vertraute Unterteilung und die sogar die Kürzel des französischen Fußmaßes verwendet,2 noch die im Sangallo-Umkreis sicherlich gebräuchlichere Berücksichtigung der oncia bzw. des Zwölftel-palmo als Zwischenstufe bei der Unterteilung und zugleich als augenscheinlich kleinstes regulär verwendetes Baumaß an St. Peter, spricht gegen eine direkte und länger währende Nähe des Zeichners zum Anonymus Destailleur und der Fabbrica von St. Peter bzw. eine entsprechende Beeinflussung durch diese. Damit lässt sich annehmen, dass die Zeichnung weitgehend unabhängig von beiden entstand und somit vielleicht sogar schon vor die Entstehung der St.-Peter-Gruppe des Codex Destaileur D zu datieren wäre. Dagegen spricht allerdings die andernort aufgestellte und durch viele Indizien bestätigte Hypothese, dass die St.-Peter-Zeichnungen des Anonymus Destailleur Anfang 1545, vor der Einwölbung der ersten Kreuzarmtonne (Ostarm) bzw. parallel dazu entstanden: Eine deutlich frühere Anfertigung der vorliegenden Zeichnung scheint demnach unwahrscheinlich, da die Herstellung der Gerüste sicherlich nicht lange vor Beginn der Einwölbung erfolgte. Im Gegenteil deutet die in den Quellen des Archivio storico der Fabbrica di San Pietro dokumentierte intensive Tätigkeit der Zimmerleute um Labacco für die Fabbrica im Sommer 1545 darauf hin, dass er zu diesem Zeitpunkt die Gerüste zeitgleich mit den Kassettenformen angefertigt wurden. Dass sich Gerüste aus der Zeit Bramantes von der Einwölbung der Kuppeltragbogen erhalten und dem Zeichner als Vorlagen gedient haben könnten, erscheint zumindest vor dem Hintergrund der überlieferten Ansichten der Baustelle von Heemskerck u. a. als unwahrscheinlich.

Konstruktion und Funktion des Gerüstes: Die der vorliegenden Darstellung auf den ersten Blick sehr ähnliche Zeichnung in den Uffizien (U 226 A recto) wird aufgrund des dort gezeigten faszierten Archivoltenbogens allgemein als entsprechend früh zu datierende Aufnahme eines Lehrgerüsts für die Einwölbung der Kuppeltragbogen unter Bramante angesehen. Der unterschiedliche Verwendungszweck – stärkerer Kuppeltragbogen mit geringerem Radius in U 226A, leichteres Tonnengewölbe mit größerem Radius in der vorliegenden Zeichnung – könnte sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unterschiede in beiden Darstellungen besonders hinsichtlich der genaueren Gerüstform und ihrer Maße erklären.

Die Unterschiede zwischen der linken und der rechten Hälfte der vorliegenden Darstellung erstrecken sich nicht nur auf die Bemaßung, deren Wiederholung aus Symmetriegründen nicht notwendig war, sondern auch bis in konstruktive Details: So endet der linke der großen inneren Diagonalbalken unten direkt am großen Horizontalbalken, während er in der Vorzeichnung dort ebenso wie sein rechtes Gegenstück abgeschrägt ist. In Bl. 113r wird der so entstehende Zwischenraum von einem kurzen Horizontalbalken eingenommen, der unterhalb des großen Balkens diesen zu verstärken scheint. Genau dieser kurze Balken ist auch in der vorliegenden Skizze rechts durch einen Bleistiftstrich in der Vorzeichnung angedeutet: Dies kann nur so interpretiert werden, dass der kurze Horizontalbalken während der Anfertigung der vorliegenden Zeichnung eliminiert wurde, da er sich vielleicht als statisch überflüssig erwies und durch die Eliminierung zusätzlich das Gesamtgewicht des Gerüstes reduziert werden konnte. Daraus lässt sich eine relativ spätere Datierung der Version von Bl. 112r gegenüber derjenigen von Bl. 113r ableiten, für die sich zudem weitere Details als Indizien anführen lassen: Die oberen Enden bzw. Stirnseiten der 59 palmi langen, inneren großen Diagonalbalken (unten) unterscheiden sich deutlich voneinander: Während links der Balken bis an den großen Horizontalbalken herangeführt wird, ist er in der rechten Hälfte abgeschrägt, so dass der ganz rechts nur mit einem dicken Bleistiftstrich angedeutete horizontale Unterstützungsbalken unter dem großen Horizontalbalken hier ansetzen könnte, wie das in Bl. 113 und im Lafréry-Stich auch geschieht.

Gegen diese Chronologie der Blätter 112r und 113r untereinander scheint allerdings die Anordnung der kleinen Diagonalbalken zu sprechen, die unter dem großen Horizontalbalken ein Dreieck bilden: Sie berühren sich in der hier vorliegenden Variante so, dass der Horizontalbalken nur punktförmig in der Mitte unterstützt wird – eine zweifellos statisch ungünstigere Lösung gegenüber derjenigen auf Bl. 113r, wo beide Balken mit je einer Flanke am oberen Ende sich gegenseitig und gemeinsam den Horizontalbalken stützen. Unter der oben gemachten Voraussetzung, dass die statisch ausgereiftere Variante die spätere ist, ergäbe dieses Detail also eine Umkehr in der chronologischen Abfolge der Blätter und der durch sie repräsentierten Entwürfe. — Insgesamt scheint jedoch die Variante von Bl. 112r die ausgereiftere und – da mit Maßen versehen – auch die der Realität nähere zu sein, so dass dieses widersprüchliche Detail möglicherweise als nicht so schwerwiegend angesehen werden kann, zumal sich die Gerüstversion von Bl. 113r auch aus anderen Erwägungen heraus eher als ein Entwurf denn als die Wiedergabe eines tatsächlich realisierten Gerüstes ansehen lässt.

Immerhin bleibt letztlich noch die Möglichkeit bestehen, dass beide Zeichnung auf zeitgleich entstandende, alternative Entwürfe zurückgehen könnten, die wesentlich nur in der Verbindung bzw. den Anschlüssen der Balken untereinander differieren: Bl. 112r wäre in diesem Sinne eine ohne Hilfseisen durch zimmermannstechnische Bearbeitung der Balken hergestellte Verkeilung, die für größtmögliche Stabilität sorgen dürfte. Auf Bl. 113r erschiene dagegen eine Variante, die durch den Einsatz vorgefertigter Eisenlaschen einen deutlich geringeren Arbeitsaufwand erforderte, da das sicher aufwendigere Zuschneiden der Balken an den zu verkeilenden Enden entfallen konnte.

Ein problematisches konstruktives Detail der vorliegenden Zeichnung scheint die Überschneidung der Gewölbefußpunkte oberhalb des Kranzgesimses durch die Fußpunkte des Gerüstes zu sein: Dieses schneidet dort in die Wand ein und dürfte so zu einer Destabilisierung des zu errichtenden Gewölbes beigetragen haben. Es wäre daher zu überprüfen, ob eine ähnliche Verfahrensweise, die z. B. in der Zeichnung von Bl. 113r vermieden wird, zu der zu befürchtenden Destabilisierung beiträgt bzw. zum damaligen Zeitpunkt für Gerüstkonstruktionen angewandt wurde. Da Bos im Lafréry-Stich dieselbe Überschneidung zeigt, darf man allerdings vielleicht annehmen, dass sie an St. Peter tatsächlich trotz der zu erwartenden statischen Probleme verwendet wurde.

Form des Gewölbes: Der Einstichpunkt für den Zirkel, mit dem die Bogenlinie der Wölbung gezogen wurde, liegt zwischen der „2“ und der „4“ der Maßangabe für die vertikale Entferung des unteren Horizontalbalkens vom Kranzgesimsniveau ( „p 24 – ii”). Der Radius dieses Kreises beträgt 123 mm. Durch den erhöhten Einstichpunkt – der der Aufstelzung des Gewölbes entspricht – trifft der Kreisbogen nicht senkrecht auf die Horizontale des Kranzgesimses, sondern krümmt sich bereits wieder nach innen. Anstelle dieses – sicherlich auf eine Unachtsamkeit des Zeichners zurückzuführenden – Verlaufs, zeigen Bau wie Modell und auch andere Darstellungen eine senkrechte Wand im Bereich der Aufstelzung. Die Differenz zwischen den beiden Darstellungen ist allerdings nicht so groß, als dass sie das Einschneiden der Auflagerpunkte des Gerüstes in die falsch wiedergegebene Wand erklären könnten.

Die Vertikalmaße entlang der Symmetrieachse ergeben eine Gesamtsumme von:
 

 

24 p 11
2 p 15
13 p 4
4 p 49
+ 18 p 5




62 p 24




 

Nimmt man an, dass die zwischen den Friesen mit „p 106 – 28“ angegeben Spannweite der lichten Weite des Kreuzarms entspricht und die Hälfte dieses Wertes dem Radius der Wölbung (~
= p 53 – o 14), so ergibt sich als Differenz zu dem hier ermittelten Wert für die vertikalen Maximalhöhe des Gerüstes ein Wert von p 9 – o 10. Dieser entspricht weitgehend dem aus dem Stich ableitbaren Wert von 9 palmi für die Höhe des ‘Centro della Volta’ über der horizontalen Verbindungslinie der Kranzsgesimse, die im Stich 28 mm beträgt.

Trotz der erheblichen Ungenauigkeit sei noch auf die sehr locker mit Bleistift ausgeführte Wellenlinie hingewiesen, die offensichtlich die Außenseite des Gewölbes andeuten soll: Sie verläuft im Abstand von 20 – 28 mm um die Gewölbeninnenlinie, was beim vorliegenden Maßstab von ca. 1 : 95 einer Stärke von ca. 8 1/2 bis 12 palmi bzw. 1,90 – 2,60 m entspricht und damit der Realität kaum nahekommen dürfte. Aufgrund der Skizzenhaftigkeit ist jedoch ohnehin keine genaue Wiedergabe der Gewölbestärke zu erwarten.

Im Scheitelbereich des Gewölbes deutet der Zeichner durch radiale Federstriche an, dass hier – wie dies auch aus dem Stich von Jacobus Bos sowie der genannten Uffizien-Zeichnung hervor geht – große, flache Steinplatten zur Versteifung des Gewölbes eingesetzt werden sollten.

Mögliche Funktion der Zeichnung: Innerhalb der Zeichnung fällt auf, dass sich die Maßangaben ebenso wie die Wiedergabe der Details auf die rechte Hälfte des Gerüstes – bis einschließlich zur Symmetrieachse in der Mitte – beschränken. Diese Art der ökonomischen Darstellung, die auch schon von den Zeichnungen des Anonymus Destailleur her bekannt ist, muss jedoch nicht auf eine große Nähe oder gemeinsame Anregung der Zeichner schließen, die sich auf den Sangallo-Umkreis zurück führen ließe.

Auffällig ist weiterhin, dass sich der Zeichner relativ genau notiert, wie die einzelnen Balken miteinander verzahnt werden sollten: An diesen Stellen finden sich zudem sogar deutlich kräftigere Vorzeichnungen mit Bleistift: Es erscheint denkbar, dass diese nicht vom Zeichner selbst stammen, sondern – wie dann wohl die gesamte Vorzeichnung – von fremder Hand.

Im deutlichen Widerspruch zu dieser Detailgenauigkeit steht dagegen das Fehlen von ausreichenden Hinweisen zur Auskleidung der Wölbung: Die im Scheitelpunkt des Lehrgerüstes angedeuteten radial eingesetzten Platten geben jedenfalls für eine Herstellung kaum genügend Informationen. Es scheint also aufgrund dieser Konzentration innerhalb der Zeichnung der Schluss nahe liegend, dass die Zeichnung bzw. ihre Vorlage nicht den Maurern, wohl aber den falegnamiVorlage für
Gerüstbau?
 zuzuordnen sein dürfte. Das Fehlen genauerer Angabe zu den Kassettenformen, die hier durch eine Reihe anscheinend einfacher Schalungsbretter ersetzt sind, muss nicht gegen diese Interpretation sprechen, denn diese Bretterlage war sicherlich als einebnende Grundlage der Kassettenformen notwendig. Für die Anbringung der Formen selbst scheinen dem Zeichner ebenso wie für die Abstützung der Seitenbereiche der Tonne keine detaillierten Informationen zur Verfügung gestanden zu haben.

Für eine Interpretation der Zeichnung als auf die Zimmerleute zurück gehend könnte weiterhin der Umstand zu sprechen, dass hier sehr genaue Maße für die Länge der einzelnen Balken angegeben werden, was möglicherweise auf eine Abnahme dieser Maße vom fertigen Gerüst schließen lässt Es scheint im Gegenzug jedenfalls kaum vorstellbar, dass eine – wenn auch maßstabsgerechte – Zeichnung eine ausreichende Genauigkeit erreicht hätte, um die Maße von dieser abzunehmen. Dementsprechend dürfte die Vorlage für diese Darstellung dieses Blattes mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Originalgerüst gewesen zu sein oder eine Zeichnung mit einer Vermessung desselben. Im ersten Fall wäre sie demnach ein Indiz für die Anwesenheit des Zeichners in der Fabbrica und seinen Zugang zum Baugeschehen, vielleicht sogar für eine – wenn auch vermutlich nur kurzfristige – eigene Beteiligung daran.

Zur Identität des Zeichners: Der Zeichner dieser Darstellung ist – dies ergibt sich klar aufgrund der abweichenden Handschrift – weder mit dem Anonymus Destailleur noch mit dem KdAD identisch. Die deutlichen Unterschiede in der Darstellungsart – besonders in der Strichführung – lassen trotz der Vorsicht, die bei solchen, weitgehend mit Lineal ausgeführten Zeichnungen angebracht ist, kaum eine Identität zwischen den Zeichnern von Bl. 112r und Bl. 113r zu. Die Abweichungen gegenüber dem Lafréry-Stich von Jacob Bos lassen auch diesen nicht als den Zeichner in Frage kommen. Aufgrund der markanten Form des Buchstabens „p“ lässt sich mit sehr hoher Wahrscheinlich der sonst in den Zeichnungen des Codex Destailleur D nicht vorkommende, hier sog. Mitarbeiter des Anonymus Destailleur (MdAD) als Autor des Blattes namhaft machen. Eine namentliche Klärung seiner Identität steht zwar noch aus, aufgrund der zumindest zeitweilig anzunehmenden Nähe zur Fabbrica von St. Peter zum Zeitpunkt der Einwölbung der Kreuzarme scheinen Vergleiche mit den Handschriften anderer aus diesem Umkreis stammender Blätter erfolgversprechend.

 

112.1.2 palmo-romano-Maßstab in Originalgröße

POSITION: innerhalb der Hauptzeichnung [112.1.1], zwischen den Gebälkprofilskizzen der großen 12-palmi-Ordnung
TECHNIK: Feder in Braun; Lineal; Zirkel
HAND: MdAD
BEISCHRIFTEN / POSITION:
1. „minuti“ / links oberhalb am palmo-Maßstabes
2. „palmo“ [geändert aus: „palme“] / links unterhalb des palmo-Maßstabes
3. „oncia“ / links unterhalb des palmo-Maßstabes, rechts neben „palmo
MASSSTAB: 1 : 1
Im Vergleich zu dem von Christof Thoenes angegebenen palmo-Maß der Sangallo-Zeit von 223,4 mm zeigt der hier abgebildete palmo mit einer Gesamtlänge von etwas unter 223 mm eine Abweichung von ca. 0,4 – 0,5 mm, die sich jedoch auf die etwas flüchtige Darstellung zurück führen lässt: Die Endpunkte des vorliegenden Maßstabs sind bspw. durch Kreuzchen markiert, deren Schnittpunkt 0,5 bzw. 1 mm breit ist.

Mögliche Gründe für die Darstellung des Maßstabs: Fragen wirft zuerst die Tatsache auf, dass der Maßstab überhaupt hier dargestellt ist: Denn dies legt die Vermutung nahe, der Zeichner sei mit dem von ihm in der Hauptzeichnung benutzten Maß selbst gar nicht vertraut genug oder habe dieses zumindest bisher in abweichender Länge oder Unterteilung benutzt. Beides scheint eine längere Anwesenheit in der Fabbrica von St. Peter auszuschließen, wenn man nicht annimmt, dass diese Zeichnung bzw. ihre Vorlage für eine Veröffentlichung z. B. als Stich angelegt wurden. Die auffällige Verwendung des palmo durch den Zeichner bei der Vermessung des Gerüsts unter Übergehung der oncia als mittlerem Teilungswert spricht zumindest gegen eine mögliche Vertrautheit im Umgang mit diesem Maß. Gleichzeitig widerspricht sie der nicht nur vom Anonymus Destailleur, sondern auch in anderen Zeichnungen des Sangallo-Umkreises und der Fabbrica zu beobachtenden Unterteilung des palmo romano in 12 Teile (oncie), die als kleinstes reguläres Maß verwendet worden zu sein scheinen: Gerade in Bezug auf eine Konstruktion von erheblicher Größe wie der des vorliegenden Gerüstes schein eine bis zu minuto-Werten hinab reichende Vermessung einen Genauigkeit zu suggerieren, die kaum realisierbar und daher übertrieben sein dürfte: So ergibt bspw. die Maßangabe für den unteren Horizontalbalken eine angebliche Genauigkeit von 3,7 mm (= 1 minuto) auf 10.957,76 mm (= 49 palmi und 3 minuti), d. h. 0,034 % – ein Wert, der sich selbst mit modernen Messmethoden angesichts der Ungenauigkeiten bei der Bearbeitung eines Balkens dieser Größe nicht erreichen ließe.

Zirkelgebrauch: Bemerkenswert ist, dass die drei Einstichpunkte des Zirkels unterschiedlich weit voneinander entfernt liegen, obwohl sie Anfangs-, Mittel- und Endpunkt des Maßstabes markieren sollen: Vom linken zum mittleren Einstich beträgt die Entfernung 11,25 mm, vom mittleren zum rechten dagegen nur 11,05 mm. Die Einstichpunkte liegen zudem jeweils nicht genau in den von den Maßpfeilkreuzen bestimmten Punkten. — Damit erlaubt die Darstellung ebenso wie die vorgebliche Genauigkeit der Maßangaben einschränkende Schlussfolgerungen auf die Präzision, mit der nicht nur dieser Zeichner, sondern wohl auch die meisten seiner Zeitgenossen entsprechende Maßangaben machen und übertragen konnten: Bei der Beurteilung der (vermeintlichen) Genauigkeit von Zeichnungen und Vermessungen aus dieser Zeit wird dies zu berücksichtigen sein!

Schreibweise und Kennzeichnung der Maße: Eine wenig auffällige, aber als Unterscheidungskriterium bei der Identifiktaion des Zeichners sicherlich recht zuverlässige Differenz in den Charakteristika der Hand ist die Form der Maßpfeile: Bos bezeichnet im Stich die Enden der Maßstabslinien jeweils durch Pfeilspitzen mit einem Öffnungswinkel von ca. 90°, die beim Aufeinandertreffen an Unterteilungen regelmäßige Kreuze ergeben; der Zeichner von Bl. 112 dagegen bezeichnet nur die Endpunkte (und den Mittelpunkt des Maßstabs) mit unregelmäßig ‘windschiefen’ Kreuzen, die aus einem senkrechten und einem diagonal von links unten nach rechts oben verlaufendem Strich gebildet werden. Der Unterschied kann zwar prinzipiell auch dem geringeren Genauigkeitsgrad der Ausführung geschuldet sein, allerdings verwenden die Zeichner des Codex Destailleur D auch sonst nie Pfeilspitzen, sondern nur die genannten Schräglinien, um den Schnittpunkt einer Maßlinie mit dem zur dazugehörigen Körperkante führenden Lot zu markieren.3

Zu den palmo-Maßstäben des Codex Destailleur D: Die mehrfache Wiedergabe von palmo-Maßstäben im gesamten Codex Destailleur D lässt sich nicht ausschließlich auf die Beteiligung unterschiedlicher Hände zurückführen, da z.Ḃ. die Maßstäbe auf dem vorliegenden Blatt und auf Bl. 105v auf ein und denselben Zeichner (MdAD) zurück gehen. Damit lassen sich als Hintergrund unterschiedliche Entstehungszeiten und Vorlagen, aber auch geringfügig differierende Längen und damit Maßgrundlagen der jeweiligen Zeichnungen annehmen, die die Zeichner dokumentieren wollten.

 

 






Blatt Nr. der Zeichnung Bezeichnung Hand Länge in mm










105v [105.2.3] el palme col quale state misurato MdAD 224 – 225





112r [112.1.2] palm[e]o MdAD 223





103r [103.1.1.12] AD 224,5 – 225










Bos-Stich (zum Vergleich)
220,5





Quellenwert der Zeichnung: Im Zusammenhang mit St. Peter als Bauwerk stellt die vorliegende Zeichnung jedenfalls eine bedeutsame Quelle dar – trotz aller eventuellen Ungenauigkeiten: Denn sie überliefert den grundlegenden Maßstab der Bauzeit zu einem recht eng einzugrenzenden Zeitpunkt: der Errichtung der Kreuzarmgewölbe in den Jahren 1545/46. Eine ähnlich enge Verbindung von zeitgenössischer Baupraxis und dem in dieser Baupraxis benutzten Grundmaß scheint in den Zeichnungen der Zeit ansonsten nur selten vorzuliegen — die Darstellung im Stich von Bos hat dagegen schon deutlich retrospektiven Charakter und ist zudem wesentlich unzuverlässiger.4

 

Datierung: Natürlich ist nicht vollständig auszuschließen, dass die Zeichnung deutlich später als 1545/46 entstanden sein könnte – z. B. als vorbereitende Studie für den Stich von Bos. Aber zum einen spricht die vermutlich frühe Einbeziehung in den Codex Destailleur D und dessen aus anderen Gründen anzunehmende Entfernung aus Rom spätestens ab ca. 1550 für eine gemeinsame Entstehungszeit mit den sonstigen Zeichnungen zu St. Peter, deren Datierung auf die Jahre 1545/46 als gesichert gelten kann, zum anderen setzt die Genauigkeit der Maßangaben hier Messungen am Lehrgerüst selbst voraus, die wohl kaum Jahre oder gar Jahrzehnte nach den Einwölbungsarbeiten erfolgen konnten, da eine Zerstörung des Gerüst zwecks Wiederverwendung der Hölzer sicher eher zu erwarten ist, als eine Konservierung der gesamten Konstruktion, zumal deren Haltbarkeit unter jahre- bis sogar jahrzehntelangen Witterungseinflüssen zweifelhaft erscheint: Dass die für die Errichtung der Kuppeltragbogen benutzten Gerüste aus der Zeit Bramantes nach dem Zeugnis der Ansichten von der Baustelle schon in den 1530er Jahren anscheinend nicht erhalten waren, obwohl ihre Brauchbarkeit für die spätere Einwölbung der Kreuzarme schon im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts abzusehen gewesen sein müsste, unterstützt die Annahme einer verhältnismäßig kurzen Erhaltungszeit der Gerüste und damit einer relativ frühen Enstehung der gesamten Zeichnung bzw. ihrer Vorlage.

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