recto: St. Peter: Lehrgerüst
113.1 Ansicht eines Lehrgerüstes
113.1.1 Perspektivische Ansicht des Lehrgerüstes
POSITION: gesamtes Blatt
NUMERIERUNG / POSITION: „8“ / rechte obere Blattecke, 90° rechts
TECHNIK: Feder in hellem Braun mit Lineal und Zirkel; Graphitvorzeichnungen
HAND: vermutlich vom AD, sicher nicht vom Zeichner von Bl. 112r (MdAD)
MASSSTAB: Da keine Maßangaben vorliegen, kann der Maßstab nur unter Zuhilfenahme der Zeichnung [112.1.1] ermittelt werden. Der aufgrund dieser Beispielwerte ermittelte Maßstab liegt ungefähr bei 1 : 60.
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Beispielwerte |
palmi
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mm | Maßstab | |||
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oberer Horizontalbalken | 80 | 02 | = | 270 | → | 1 : 66 |
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großer Diagonalbalken unten | 59 | 8 | = | 215 | → | 1 : 61 |
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unterer Horizontalbalken | 49 | 3 | = | 205 | → | 1 : 53 |
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Kommentar: Die Darstellung des Lehrgerüstes weicht hinsichtlich der Darstellungstechnik, der Zeichentechnik, der Form des Gerüstes, des Maßstabs sowie der Perspektive/Ansicht deutlich von Bl. 112r ab.
Darstellungstechnik: Das Lehrgerüst wird in leicht perspektivischer Untersicht gezeigt. Obwohl der Zeichner die Vorderseite planparallel in annähernd orthogonalperspektivischem Aufriss wiedergibt, wählt er für die Wiedergabe der räumlichen Tiefe der Balken einen Standpunkt in der Symmetrieachse der Konstruktion. Aber auch diesen Blickpunkt wendet er nicht konsequent an, denn einige Balkenstärken erscheinen größer als andere, d. h. scheinbar in geringerer perspektivischer Verkürzung. Schon dies lässt darauf schließen, dass ihm keine (korrekte) Zeichnung als Vorlage gedient haben dürfte. Möglicherweise hatte er bis zum Zeitpunkt der Anfertigung des Blattes nicht einmal das Gerüst selbst gesehen. Besonders auffällig ist an der Zeichnung ein grundlegender Irrtum in der Wahl des ‘Wölbungsradius’: Die Graphitvorzeichnung hat zwar mit der Ausführung in Feder den Scheitelpunkt gemeinsam, entfernt sich von dieser aber zusehends zu den Fußpunkten hin. Während der für die Zirkelvorzeichnung benutzte Radius bei 210 mm liegt, beträgt derjenige für die Ausführung nur 195 mm. Zudem ist der Zirkeleinstichpunkt, das ‘centro della volta’ in der Ausführung um 15 mm senkrecht entlang der Mittelachse der Konstruktion nach oben verschoben. Erst hierdurch entsteht in der Ausführung dann eine – leichte – Aufstelzung des Gewölbes. Ihr Fehlen in der Vorzeichnung lässt ebenfalls ein Nichtvertrautsein des Zeichners mit den baulichen Gegebenheiten vermuten.
Mögliche Vorlagen: Die angedeuteten Unterschiede lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass dem Zeichner eine annähernd maßstabsgerechte Zeichnung vorlag oder er Zugang zum Bau bzw. zum Gerüst hatte: Möglicherweise war dieses noch nicht angefertigt worden. Mit dieser Hypothese ließe sich auch erklären, warum die Konstruktion keinerlei Maße und offenbar erhebliche statische Mängel aufweist: Denn dass die z. T. schiefwinklig aufeinander treffenden Balken ohne Verzahnung ineinander nur durch die eingezeichneten Laschen hätten gehalten werden können, kann bezweifelt werden. Andererseits wäre angesichts der relativ großen Übereinstimmung des hier dargestellten Gerüstes mit demjenigen des Uffizienblattes 226 A r vorstellbar, dass eine vergleichbare Darstellung dem Zeichner vorlag oder er (bzw. der Zeichner seiner Vorlage) für ein entsprechendes erhaltenes Gerüst einen Vorschlag zur nachträglichen Versteifung mittels der eingezeichneten Laschen unterbreiten wollte: Hierfür wäre eine genau Darstellung der möglicherweise vorhandenen Verkeilungen der Balken ineinander nicht unbedingt notwendig gewesen.
Konstruktion des Gerüstes: Hinsichtlich der eigentlichen Konstruktion des Gerüstes unterscheidet sich die Zeichnung besonders auffällig von Bl. 112r. So fehlen – wie schon erwähnt – die meisten der dort wiedergegebenen Verkeilungen der Balkenenden ineinander. An ihrer Stelle erscheinen an fünf stabilitätswichtigen Punkten Metallschienen, die durch Nägel mit den Balken verbunden sind und diese so miteinander verklammern. Zudem werden einige Stützen im oberen Bereich des Gerüstes gegen seitliches Verrutschen durch Keile gesichert. Angesichts der Stärke der Balken und der im Vergleich dazu gering dimensionierten Metallbänder sowie der bei einer mehr als 1 m starken Zementgussdecke zu erwartenden Kräfte, die sich gerade auf die schräg stehenden Balken als starke Schubkräfte auswirken musste, erhebt sich die Frage, ob der Zeichner überhaupt berücksichtigt hat, dass diese Bänder reißen und die Nägel sich unter der Schubkraft verbiegen könnten. An seinen statischen Kenntnissen bzw. Erfahrungen wird man daher mit Recht zweifeln dürfen. Andererseits fällt dagegen die Darstellung der Auflager des Gerüstes auf dem Kranzsgesims auf, die so wiedergegeben sind, dass sie hier nicht – wie in Bl. 112r – in die Gewölbewand an den Auflagepunkten einschneiden. Sollte sich diese Methode aber als gängige unter den Baumeister der Renaissance erweisen lassen – worauf einige wiederholte Darstellungen dieses auf den ersten Blick statisch bedenklichen Vorgehens hindeuten könnten –, wäre umgekehrt diese Beobachtung ein Indiz für die Annahme, der Zeichner habe gerade keinenZugang zum Bau gehabt. Trotzdem ist die Wiedergabe in der vorliegenden Zeichnung teilweise realistischer als diejenige im Stich von Jacobus Bos, so dass nicht nur eine Identifizierung des Zeichners mit dem Stecher, sondern auch eine direkte Abhängigkeit der Darstellungen untereinander ausgeschlossen werden kann.
Kranzgesims: Knapp über dem unteren Rand des Blattes sind die Oberkanten des Gesimses zu sehen sind, wobei die linke eindeutig nach unten weitergeführt wird, während die rechte ohne einen deutlichen Abschluss endet. Da die Länge dieser Linie aber anscheinend deutlich die Vorkragung des Kranzgesimses übertrifft, wäre es auch möglich, hierin eine Andeutung der Zusatzgerüste zu sehen, die bspw. in der Stockholmer Zeichnung der Sammlung Tessin (THC 4432) erscheinen. Dass sie existiert haben, belegen auch Ansichten der Baustelle bei Vasari und in zeitgenössischen Zeichnungen.
Zur möglichen Funktion der Zeichnung: Aufgrund der genannten Beobachtungen scheint es nicht auszuschließen zu sein, dass der Zeichner – in der Form der Konstruktion angeregt durch bereits existierende Gerüste, die er jedoch nur oberfläch gekannt und ihrer Statik kaum verstanden haben dürfte – mit der vorliegenden Zeichnung eine Art Gegen- oder Verbesserungsvorschlag unterbreiten wollte. Dieser wurde jedoch vermutlich nicht realisiert, da Bos nachdrücklich behauptet, die von ihm wiedergegebene, von der vorliegenden deutlich abweichende Konstruktion sei diejenige, die an St. Peter verwendet wurde. Aber auch im vorliegenden Fall könnte erst eine weitere, eingehende Beschäftigung mit allen vergleichbaren Zeichnungen und den überlieferten statischen Kenntnissen der Renaissance-Baumeister mehr Klarheit verschaffen. Immerhin wäre angesichts des möglichen Vorschlagscharakters dieser Zeichnung denkbar, dass sie aus der Planungsphase für die Einwölbungsgerüste stammt, somit also vor Sommer 1545 zu datieren wäre.