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verso: Teilgrundriss

Variante zum Recto

77.2   Kreuzarm: Variante zum Recto [77.1.1]

 



[77.2.


         


Vorbemerkung: Die schon in den Kommentaren zum Recto dieses Blattes angedeuteten Vermutungen über die systematische Position der vorliegenden Zeichnungen finden bei genauerer Analyse hier ihre weitgehende Bestätigung. Die stilistische und technische Nähe der beiden Blattseiten zueinander legt die Annahme einer zeitlich engen bzw. praktisch gemeinsamen Entstehung nahe. Dabei dürfte das Recto dem Verso zeitlich vorausgehen, da sich letzteres als Erprobung einer Veränderung der Nischengestaltung im Scheitelbereich des Umgangs interpretieren lässt. Diese ist offensichtlich mit unbefriedigendem Ergebnis verlaufen, weshalb die Zeichnung abgebrochen wurde. Insgesamt ergeben sich aus diesen Beobachtungen interessante Schlussfolgerungen für das offenbar zu diesem Zeitpunkt in der Planungsgeschichte von St. Peter relativ nahe Verhältnis des Zeichners zum Geschehen im Sangallo-Umkreis: Wenn er schon nicht selbst an der Ausarbeitung von Vorschlägen beteiligt gewesen sein dürfte – obwohl sogar diese Möglichkeit nicht direkt auszuschließen ist –, so war er doch offensichtlich Zeuge der Planungsüberlegungen und hielt diese vermutlich noch vor der endgültigen Entscheidung fest: Anderenfalls lässt sich die wenn auch unvollständige Darstellung eines abschließend nicht in die weitere Planung eingegangenen Entwurfs kaum interpretieren.

 

77.2.1 Variante zum Grundriss des Umgangs auf dem Recto [77.1.1]

POSITIONlinker oberer [= 4.] Quadrant des Blattes
TECHNIKFeder in Braun über Vorritzungen mit Zirkel und Lineal
NUMERIERUNG / POSITION: „14“ / am unteren Blattrand, linke Blatthälfte, Mitte, 180°
HAND: AD16
MASSSTABDie Zeichnung ist offenbar ebenso wie diejenige [77.1.1] auf dem Recto nicht exakt maßstabsgerecht; als ungefährer Maßstab lässt sich – z. B. anhand der Breite der 12-palmi-Pilaster (16,5–19 mm) – ein Wert von 1 : 150 bis 1 : 160 angeben. Insgesamt ist die vorliegende Zeichnung etwas größer als die auf dem Recto und so auf dem Blatt angeordnet, dass die Außenseite des Umgangs nicht mehr vollständig auf dem Blatt Platz gefunden hätte.

Kommentar: Die Zeichnung beruht bemerkenswerter Weise wie diejenige auf dem Recto auf Vorritzungen und zeigt den unvollendeten Grundriss von Umgang und Apsisbereich eines Kreuzarms, allerdings ohne Maße. Dass es sich vermutlich nicht – wie man auf den ersten Blick annehmen könnte – um eine Vorstufe zum Recto, sondern im Gegenteil um eine nachträglich erwogene Variante für eine Neuplanung des Umgangsscheitelbereichs handelt, wurde oben schon dargelegt.17 Eher dürfte in der vorliegenden Darstellung der Versuch zu sehen sein, auf dieser Seite den auf dem Recto gezeigten unbefriedigenden Zustand der Umgangsgestaltung zu korrigieren sowie den wohl irrtümlich entstandenen Fehler der zu weit in den Bereich des Hauptbaus hinein reichenden Umgangsaußengestaltung zu korrigieren, welche Mängel beide zum Abbruch der Darstellung auf dem Recto bezeichnender Weise gerade im Bereich der Apsis bzw. des Übergangs vom Umgang zum Hauptbau führten.

Dass sich die einander entsprechenden Glieder der Ordnungen im Umgang an der Innen- und Außenwand nicht genau gegenüber stehen – besonders auffällig an der schon mehrfach zitierten Stelle im Absis- bzw. Umgangsscheitelbereich, wo die Pilaster, welche die zentrale Nische der Außenwand rahmen, aus dem Inneren durch den Durchgang in der Apsis sichtbar sind – und große Bereiche der Zeichnung freihändig ausgeführt sind, lässt auf eine Skizzenhaftigkeit schließen, die weniger als Ausdruck eines Desinteresses des Zeichners an diesem Bereich zu interpretieren, als vielmehr als das Zwischenergebnis einer Änderungsplanung: Da alle unverändert zu übernehmenden Elemente auf dem Recto schon dokumentiert waren, genügte für sie eine flüchtigere Wiedergabe, wohingegen für den kritischen Scheitelbereich offensichtlich eine größere Genauigkeit angestrebt wurde, für die sich auch eine annähernd proportionsgerechte Maßstäblichkeit der Darstellung als erforderlich erwies.

Dementsprechend fällt an dieser Stelle im Vergleich mit dem Recto besonders auf, dass hier die drei Nischen im Umgangsscheitel nicht jeweils als Rechtecknischen angelegt sind, sondern die äußeren, von denen aus Symmetriegründen auch hier nur eine wiedergegeben ist, einen halbkreisförmigen Grundriss aufweisen.

Die leichten Rasuren, die sich am Ausgang des Konterpfeilers beim Übergang zur Innenwand des Umgangs finden, können als zusätzliches Argument für die vorgeschlagene zeitliche Abfolge der Recto- und Verso-Zeichnungen angesehen werden: In ihnen dokumentiert sich gerade der Planungs- bzw. Versuchscharakter der dargestellten Lösung. Die extreme Seltenheit solcher pentimenti in den sonstigen Zeichnungen sowie die Interpretation ähnlicher Korrekturen in der St.-Peter-Gruppe des Codex Destailleur D als Spuren der Planungsbeteiligung des Zeichners deuten ebenfalls darauf hin, die fraglichen Stellen auch hier in diesem Sinne zu verstehen.

Allerdings bleibt abschließend das grundsätzliche Problem bestehen, dass prinzipiell gerade dieser Umstand der vorhandenen Koorketuren auch für eine Umkehrung der Reihenfolge in der Entstehung der beiden Zeichnungen herangezogen werden könnte, wenn sich nachweisen oder zumindest wahrscheinlich machen ließe, dass die gleichmäßige Abfolge der Nischen in der Außenwand des Umgangs aus den drei Dreiergruppen mit je Halbkreis-, Rechteck- und wiederum Halbkreisnische den Zustand vor Anhebung des Fußbodens wiedergibt, dann auf dem Recto aufgrund der entstehenden Probleme in der Konsistenz der Wandgliederung eine Variante aus drei zentralen, unterschiedlich großen Rechtecknischen erprobt und diese dann letztlich wieder zugunsten der ursprünglichen Form verworfen worden sein könnte, für deren Realisierung dann aber die weitgehende Schließung der Apsisdurchgänge erforderlich wurde. Die oben diskutierten Maßangaben auf dem Recto sowie der Umstand, dass die hier skizzierte Lösung der Nischenabfolge die später auch im Modellprojekt realisierte vorwegnimmt, sprechen dafür, diese prinzipiell mögliche Umkehrung der relativen Datierung als eher unwahrscheinlich zu verwerfen.

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