verso: Eckturm: Schnitt, Details
Eckturm: Schnitt; Details
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[nur rechtes Blattdrittel]
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[76.2.2] | ||
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[76.2.3] | [76.2.4] | [76.2.1] |
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[76.2.5] | ||
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Vorbemerkung: Das Verso ist nur im rechten Blattdrittel (= Rückseite des angestückten linken Drittels des Recto) bezeichnet; eine Numerierung des Vorbesitzers enthält das Verso nicht.
76.2.1 Schnitt durch den Nebenturm mit Gangspindel
POSITION: rechte Hälfte (im unteren Teil sogar gesamte Breite) des rechten Blattdrittels;
TECHNIK: teilweise freihändige Feder in Braun; Lineal; Graphitvorzeichnungen
HAND: AD; B [?]
Anmerkung: Obwohl sämtliche Maßangaben und der größte Teil der Zeichnung eindeutig vom Anonymus Destailleur stammen, lassen besonders die sauber und präzise, jedoch mit Leichtigkeit ausgeführten Schmuckdetails eine andere Hand vermuten, bei der es sich um die gleiche handeln dürfte, die auf dem Recto die sicheren Bleistiftskizzen für Oktogonturm, Tambour und oberes Turmmezzanin ausgeführt hat: Denn besonders an den Flammenschalen auf der oberen Balustrade und neben dem Prismenkegel fällt die mit Sicherheit gepaarte Leichtigkeit der Hand auf, die im erkennbaren Gegensatz zur Unsicherheit und Grobheit derjenigen Hand steht, die z. B. die Gangquerschnitte zeichnete und als mit dem Anonymus Destailleur identisch anzusehen ist. Dass beide Hände nicht nur dieselbe Tinte, sondern anscheinend sogar dieselbe Feder benutzt haben, muss keine Gegenargument sein, sondern lässt sich mit der vermutlich engen Zusammenarbeit im Entwurfs- bzw. Darstellungsprozess begründen.
BEISCHRIFTEN / POSITION:
„Le Ranpan dunz / quartier p 10“ / eingeschrieben im 3. Aufgangsquerschnitt (von oben)
„B“ [Verweisbuchstabe] / im Rahmenprofil der äußeren Fensteröffnung des Obergeschosses
„Q“ [Verweisbuchstabe] / im Sockel des Prismenkegels
„R“ [Verweisbuchstabe] / unterhalb des Kandelabers neben dem Prismenkegel, 90° links
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 4 7/12“ / palmo romano bzw. palmo del modello
MASSSTAB: ungefährer Gesamtmaßstab der Zeichnung: 1 : 45
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Beispielwerte |
palmi
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mm | Maßstab | |||
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Wandstärke außen | 5 | 3/4 | = | 38 | → | 1 : 34 |
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Wandstärke innen | 5 | [—] | = | 12 | → | 1 : 93 |
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vertikaler Abstand der Fenster | 26 | 2/3 | = | 111 | → | 1 : 54 |
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Teilhöhe des Prismenkegels | 13 | 1/3 | = | 66 | → | 1 : 44 |
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Breite des Prismenkegels | 8 | [—] | = | 36 | → | 1 : 50 |
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Anmerkung: Besonders der auffällig unmaßstäbliche Unterschied der Wandstärken macht deutlich, dass es dem Zeichner wiederum nur um die Erfassung möglichst aller Maße ging und nicht um eine realitätsnahe, proportionsgerechte Wiedergabe.
Kommentare:
Zur Architektur: Die Hauptzeichnung des Verso zeigt den Schnitt durch eine Hälfte eines der oktogonalen Ecktürme, ungefähr von dessen Mittelachse bis zu dem nur skizzenhaft wiedergegebenen Kranzgesims der Ionica des Hauptbaus. Die Darstellung ist nach Ausweis der Maßangaben insgesamt in der Horizontalen etwas gestaucht, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Anfertigung der Zeichnung vor der Verbindung dieses Teilblattes mit dem Folio-Blatt erfolgte. In der Vertikalen ist der Turm dagegen besonders mit zunehmender Höhe deutlich gestreckt, wie schon ein oberflächlicher Vergleich der Proportionen der Geschosse untereinander mit der Skizze auf dem Recto augenfällig zeigt.
Durch die Schnittdarstellung wird nicht nur die Anordnung und Form einzelner Details wiedergegeben, für die sich sonst keine Parallele findet, sondern es findet sich hier auch der einzige Hinweis auf die Spindelform des Aufgangs: Dieser führt vom Basisniveau des Turmes – hier ungefähr dem Kranzgesims der Ionica des Hauptbaus entsprechend – bis unter das Dach und den bekrönenden Umgang mit Balustraden, eine Verbindung zwischen Wendelgang und Umgang ist jedoch – wie auch schon in Bl. 86 – nicht angedeutet. Da die Form des Ganges auf einen Transportweg für Lasten hindeutet, ist anzunehmen, dass er bis zum Fußbodenniveau der Basilika reichen sollte. Damit aber wird zweifelhaft, ob die hier wiedergegebene Gestaltung für alle vier Ecktürme der Basilika vorgesehen war, denn der Grundriss des Hauptbau-Obergeschosses (Bl. 78r) zeigt im Eckrisalit einen – wenn auch nur flüchtig angedeuteten – rechteckigen Raum. Zudem erscheinen vier derartig groß dimensionierte Transportrampen nicht unbedingt für die Bauausführung notwendig und verlören ihren Sinn erst recht nach Fertigstellung des Baus. Da eine Verbindung zwischen dem hier dargestellten Wendelgang und dem Obergeschoss zudem nirgends angedeutet ist, scheint auch die Funktion als Verbindung zwischen den einzelnen Geschossen des Hauptbaus hier vom Zeichner und/oder Planenden nicht berücksichtigt worden zu sein.
Zwar lässt die Differenz der vorliegenden Darstellung besonders zu Bl. 78r prinzipiell die Vermutung zu, dass die beiden Zeichnungen kaum zeitgleich entstanden sein dürften, jedoch ergibt sich daraus nicht, in welcher Reihenfolge sie entstanden; es ist aber wahrscheinlicher, dass die vorliegende Darstellung nach dem Grundriss angefertigt wurde und die dort noch kaum bestimmte Binnengestaltung des Eckrisalits einer neuen, für den Bauvorgang sinnvollen Lösung zuführt. Daraus ließe sich weiter die Vermutung ableiten, dass es sich bei dem hier dargestellten Turm um den südöstlichen handelt, der im Zuge der zu Zeiten Sangallos besonders im Südost-Sektor vorangetriebenen Bauarbeiten am ehesten von Bedeutung war.
Weiterhin von Interesse – besonders hinsichtlich der bauingenieurtechnischen Interpretation der Zeichnung ist natürlich die Frage, ob es sich bei der hier dargestellten Gangspindel eine einfache oder eine Doppelrampe handelt. Da diese Frage aufgrund der Darstellung selbst nicht eindeutig zu entscheiden ist, sei hier auf den anschließenden Exkurs (unten S. §) verwiesen.
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Maßangaben |
palmi
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Dachbereich
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Höhe der Kandelaber | 7 | 3/4 |
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Durchmesser der unteren Volutenschnecke | 3 | 1/4 |
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Durchmesser der oberen Volutenschnecke | 2 | 3/4 |
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Höhe der Kegel (ohne Kugelaufsatz) | 7 | 1/3 |
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Basisdurchmesser der Kegel | 3 | 1/6 |
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Durchmesser des Kegelsockels | 3 | 5/6 |
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Außenwand
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Stärke im Bereich der oberen Fenster | 3 | 1/2 |
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Abstand der oberen und unteren Fenster | 26 | 2/3 |
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Stärke im Bereich der unteren Fenster | 6 | 1/3 |
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Durchmesser der unteren Fenster (außen) | 10 | [—] |
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Durchmesser der unteren Fenster (innen) | 8 | [—] |
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Öffnungstiefe der unteren Fenster | 5 | 3/4 |
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Gangspindel und innerer Lichtschacht
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lichte Gangweite | 9 | 1/4 |
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lichte Ganghöhe (in der Mitte) | 17 | [—] |
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geringste Deckenstärke zwischen zwei Gangebenen | 2 | 1/2 |
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Durchmesser des Lichtschachtes | 25 | [—] |
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Stärke der Wand zum Lichtschacht | 5 | [—] |
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lichte Weite der Fenster | 5 | [—] |
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lichte Höhe der Fenster | 12 | 2/3 |
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Abstand der Fenster untereinander [?] | 5 | [—] |
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vertikaler Abstand der Fenster zueinander | 7 | 3/4 |
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Differenzen zu anderen Darstellungen dieses Baudetails: Die gesamte Zeichnung zeigt Vorzeichnungen mit Bleistift, die in Details z. T. erheblich von der Ausführung mit Feder abweichen: So sind die Schnitte durch den Wendelgang in der Vorzeichnung breiter und niedriger dimensioniert, was zu einer Verschiebung der Geschosshöhen gegeneinander führt. Außerdem sind die einzelnen Profile von Gesimsen und anderen, zumeist horizontalen Elementen ungenauer oder an veränderter Position dargestellt. Was die Differenzen am Wendelgang betrifft, könnte man durchaus nicht nur eine Ungenauigkeit und Unsicherheit in der Vorzeichnung aufgrund einer unklaren Vorlage vermuten, sondern ebenso eine Planänderung, die möglicherweise mit einer Entscheidung für oder gegen eine Ausführung des Wendelganges als Doppelrampe zusammen hängt.
- Gegenüber der Darstellung auf dem Recto desselben Blattes fehlen Elemente, was sich aber offenbar auf die Skizzenhaftigkeit der dortigen Bleistiftzeichnung zurückführen lässt:
— Kegel am Rand des Daches
— Profilierung der untersten Sockelzone
— kleine Baluster auf den Kalotten der Prismenkegel
— ‘Flammen’ auf den unteren Balustern (Nebenglieder der Prismenkegelgruppe)
Außerdem sitzen die Okulusfenster trotz der insgesamt geringeren vertikalen Erstreckung deutlich höher und liegen nicht, wie in der vorliegenden Zeichnung fast vollständig hinter den Prismenkegeln.
Datierungsversuch: Damit lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die vorliegende Zeichnung nach der Skizze des Recto angefertigt wurde. - Unterschiede zu den Grundrissen auf Bl. 86r:7
Die Nebenelemente der Prismenkegelgruppen sowie die auf der oberen Balustrade aufsitzenden balusterähnlichen Flammenschalen sind als einfache Kreise wiedergegeben, woraus in Bl. 86r also nicht ableitbar ist, welche genauere Gestaltung sie erhalten sollten – eine einfache Kegelform scheint zumindest denkbar. Ebenso fehlen Hinweise auf die kleinen Baluster, die auf den Kalotten der Prismenkegel laut der vorliegenden Zeichnung angebracht werden sollten.
Ein wichtiger Unterschied sind die zwischen den Prismenkegeln und dem Oktogon selbst noch angebrachten Nebenelemente.
Die Maßangaben weisen ebenfalls Unterschiede auf: So ist der gesamte Innendurchmesser des Wendelgangs in [86.1.2] mit „p 55 3/4“ angegeben, aus den Werten der vorliegenden Zeichnung ergibt sich jedoch nur ein Wert von 54 palmi:
Datierungsversuch: Die also scheinbar schon sehr detaillierten Darstellungen auf Bl. 86r, die jedoch gerade in den Prismenkegelgruppen zeigen, dass sie noch zur Planungsphase dieses Bereiches zu zählen sind, gehen also zumindest der vorliegenden Zeichnung, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber vermutlich auch der in den Details schon ebenfalls sicheren Skizze auf dem Recto, zeitlich voraus. - Zeichnung und Modell (nach der Restaurierung):
Letzteres zeigt auf der unteren Balustrade, die in der Zeichnung und im Stich leer ist, Kegel mit auf die Spitzen aufgesetzten Kugeln. Dagegen ist die oberste Balustrade am Modell leer. Dort zeigen Zeichnung und Stich Kandelaber, während am Fußpunkt der auf dem Dach liegenden Voluten Kegel erscheinen. - Salamanca-Stiche:
Gegenüber diesen maßstabsgerechten Darstellungen fällt die vertikale Streckung der vorliegenden Zeichnung besonders auf; ansonsten scheinen die Abweichungen jedoch nur minimal zu sein: So fehlt z. B. der in der Zeichnung skizzierte kleine Kandelaber auf der Kalotte des Prismenkegels bei Salamanca. Die Tatsache, dass dieser balusterförmige Kandelaber in der Zeichnung nur als freihändige Skizze erscheint, legt trotz der Maßangaben die Vermutung nahe, dass es sich hierbei um eine nachträgliche Ergänzung, vielleicht einen Vorschlag des Zeichners handelt, der anschließend aber nicht für die Übernahme in die Ausführung übernommen wurde.
Zu einigen Detailfragen:
Kandelaber: In den von den balusterförmigen Kandelabern getragenen Schalen scheinen Flammen dargestellt zu sein, was als ein Hinweis darauf gedeutet werden könnte, dass diese tatsächlich – z. B. bei festlichen Anlässen – als Feuerschalen zur Illumination des Bauwerks dienen sollten. Dann wäre jedoch die umstandslose Ersetzung von Kandelabern dort, wo sie in den Zeichnungen auftauchen, durch Kegel mit Kugelspitzen am Modell und im Salamanca-Stich zumindest fragwürdig, da sie ein funktionales Element durch ein einfacheres, schmückendes ohne jegliche (festliche) Nutzungsmöglichkeit austauscht. Zudem sind die Kegel und die ‘Flammenschalen’ im Zusammenhang der ‘4-um-1’-Gruppen deutlich unterschiedlich konnotiert, da nur erstere als Referenz auf antike Grabbauten angesehen werden können.
Die Ersetzung der Flammenschalen durch einfachere Kegel am Modell könnte zwar auf die Vereinfachungen im Herstellungsprozess zurückzuführen sein, da aber z. B. der Aufwand zur Herstellung der noch kleineren Baluster für die vielen Balustraden des Außenbaus nicht gescheut wurde, scheint die Vermutung einer in diesem Punkt grundlegenden – und mit Blick auf die erwähnte Bedeutung funktional nicht gleichgültige – Planänderung zumindest nicht unwahrscheinlich.
Verhältnis Turm / Dach: Unterhalb des Prismenkegels erscheint das Profil des Sockels, auf dem sich der Nebenturm über das Dach erhebt. Die nebenstehende Schraffur und die weiter oben angegebene Entfernung (über alles) von der Außenwand des Turms („p 23 1/2“) scheint sich auf die Giebel der Eckrisalite zu beziehen, die sich kulissenartig vor dem Sockel erheben. Bei den horizontalen Linien neben dem Sockel könnte es sich um eine Andeutung des Daches handeln, das nach Bl. 86 ja um die Eckoktogone eine besonders gefaltete Form aufweist.
Innenfenster: Die Fenster zum inneren Lichtschacht des Turms hin folgen offensichtlich dem spiralförmigen Verlauf der Gänge, weichen aber von dem nur angedeuteten steilen Verlauf des Gewölbeansatzes in den Gängen erheblich ab. Man wird eher im letzeren eine Ungeschicklichkeit des Zeichners sehen dürfen, so dass ein – wenn auch nur grober – Anhaltspunkt für den Steigungswinkel der Spirale eher aus den Fenstern abzuleiten wäre. Dieser scheint in der Darstellung aufgrund der perspektivischen Verkürzung bei ca. 30° liegen.
Außenfenster: Bemerkenswert ist, dass die Frage der Verbindung der Außenfenster mit der Rampe im Inneren offensichtlich zum Zeitpuntk der Entstehung der Zeichnung noch weitgehend ungelöst war: Zwar schneidet das Fenster des oberen Geschosses noch in die Wand des Ganges ein und nicht in das Gewölbe, aber es bleibt fraglich, wie die Verbindung der anderen Fenster dieses Geschosses mit dem Innenraum gelöst werden sollte. Noch problematischer erscheint die Beleuchtung durch die großen Fensteröffnungen im Untergeschoss: Hier ist der Konflikt zwischen Wendelgang und Öffnung nicht nur nicht gelöst, sondern wird in der Darstellung besonders augenfällig. Dabei werden durch die Vielzahl der Öffnungen zum Innenschacht hin die Außenfenster als Lichtquellen eigentlich überflüssig.
Fazit: Aus diesen Beobachtungen sowie der Skizzenhaftigkeit der Darstellung ausgerechnet im Bereich des Wendelgangs lässt sich die hypothetische Schlussfolgerung ableiten, dass dieses Detail nicht nur im letzten Arbeitsschritt während der Anfertigung der Zeichnung eingetragen wurde, sondern es hierfür sogar keine detaillierte und mit dem Rest des Bauwerks stimmig verbundene Planung gab. Dieser Umstand kann durchaus als positives Indiz im Sinne der These angesehen werden, dass der Zeichner während des Planungsprozesses anwesend war und teilweise an diesem sogar mitgewirkt hat: Gerade im vorliegenden Falle erscheint es kaum vorstellbar, dass eine so grobe und offensichtlich unvollkommende Planung und Darstellung des Wendelgangs auf einen der engeren, architektonisch und ausführungstechnisch sowie zeichnerisch durchaus geschulten Mitarbeiter Sangallos zurückgehen sollte: Es könnte hier also angenommen werden, dass der Zeichner nach dem Hinweis auf den beabsichtigten Einbau einer spiralförmigen Rampe, möglicherweise unter Angabe der wichtigsten Maße, hier eine selbständige ‘Planung’ vornahm.
Exkurs zur Frage der Doppel-Rampe:
Um die Frage klären zu können, ob es sich bei der hier dargestellten Gangspindel um eine einfache oder eine Doppelrampe handelt – vergleichbar derjenigen in dem von Sangallo für Papst Clemens VII. geschaffenen Brunnen in Orvieto, Pozzo di San Patrizio –, wird aus den gegebenen Maßen die Steigung des Ganges ermittelt und mit derjenigen des Brunnens verglichen. Eine deutlich steilere Steigung wäre ein starkes Indiz gegen die Interpretation der vorliegenden Darstellung als Doppelrampe. Da die Steigung natürlich abhängig vom Radius der zu ihrer Ermittlung herangezogenen Spirallinie ist, wird im folgenden die Mittellinie des Ganges als realistisches Maß verwendet und nicht die Schnittlinie zwischen Boden und Außenwand.
Um die Steigung zu ermitteln, wird die Länge der Gangmittellinie r herangezogen:8
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Teilmaß | Wert in palmi | Wert in Meter |
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Radius des Lichtschachtes | 0,5 x 25 = 12,500 | 2,79 |
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Wandstärke | 5,000 | 1,12 |
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halbe lichte Weite des Umgangs | 0,5 x 9,25 = 4,625 | 1,03 |
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Gesamtradius r der Mittelinie | 22,15 | 4,94 |
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In den Grundriss projeziert ergibt sich daraus ein Umfang u von: u = 2πr = 31,056 m
Die Länge l der Gangmittellinie auf einer Umdrehung der Spindel ergibt sich nun durch die gedachte Projektion (Abrollung) in die Ebene als Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, dessen längere Kathete vom ermittelten Umfang uund dessen kürzere Kathete von der Höhe h gebildet wird, die der Gang bei einer Umdrehung überwindet; nach Pythagoras: l² = u² + h²
Die Höhe h ergibt sich aus den in der Zeichnung angegebenen Werten für die lichte Höhe des Ganges (= „p 17“) und die Deckenstärke (= „p2 1/2“) zu: h = 19,5 palmi 4,3563 m
Damit ergibt sich für die Länge l der Ganglinie ein Wert von 31,36 m l = 140 palmi
Ins Verhältnis gesetzt zur Höhe h ergibt sich für die Steigung einer einfachen Gangspindel ein Prozentwert von: h/l = 13,89 %
Führt man die gleiche Berechnung für eine angenommene Doppelspirale durch, so ist der Wert für h natürlich zu verdoppeln: H = 2 × h = 8,7126 m
Daraus ergibt sich über L² = r² + H²: L = 32,255 m
Und somit für die Steigung der Doppelspindel: H/L = 27 %
Fazit: Eine solche Steigung scheint auf den ersten Blick kaum bewältigbar,9 vor allem wenn man in Betracht zieht, dass sie zumindest während der Bauphase mit Lasttieren überwunden werden musste. Demnach ist es weitgehend auszuschließen, dass die hier wiedergegebene Treppenanlage eine Doppelspindel darstellt.
Problem: Wie ist die Angabe des Zeichners in der Beischrift zu interpretieren: Sollte sie bedeuten „[Anstieg pro] Viertel [einer Umdrehung der Rampe] 10 palmi“, ließe diese deutliche Steigung auf eine doppelläufige Spindel schließen, denn daraus ergibt sich eine Gesamthöhe vor 40 palmi für eine Umdrehung der Spindel, also ziemlich genau dem Doppelten der oben erwähnten Ganghöhe h.
Vergleichsbeispiel: Sangallos Pozzo di San Patrizio in Orvieto:
Nach Uff. 1242 A: Auf Uff. 1242 A recto skizziert Sangallo die Doppelspindel für den Brunnen von San Patrizio in Orvieto, in der zwei jeweils 8 1/4 piedi breite Gänge einen Schacht von 21 piedi Durchmesser umlaufen, wobei eine senkrecht geschriebene Maßangabe von ebenfalls 8 1/4 piedi möglicherweise die lichte Höhe eines Ganges bezeichnet. In diesem Fall betrüge die sich ergebende Steigung nach dem oben angewandten Berechnungsverfahren:
Radius der Kreislinie in der Mitte des Ganges: 1/2 × (21 + 2 × 8,25) piedi = 18,75 piedi
Umfang des Kreises: u = 2πr = 117,81 piedi
Länge der Gangmittellinie auf einer Umdrehung: l² = u² + h², wobei h die doppelte Höhe [die Deckenstärke wird hier wie bei Sangallo vernachlässigt]
l² = (117,81 piedi)² + (2 × 8,25 piedi)² = 14151,83 piedi², d. h. l = 118,96 piedi
Das Verhältnis von Höhe h = 2 × 8,25 piedi zu l = 118,96 piedi beträgt also = 0,1387
Damit ergibt sich für die Steigung ein durchaus moderater Wert von nur knapp 14 %, der für eine Doppelspindelrampe deutlich realistischer erscheint als der doppelt so steile Anstieg, der sich aus den Werten der Schnittzeichnung auf Bl. 76v ergibt!
Nach [Bonanni 1706]: Da die herangezogene Skizze Uff. 1242 A anscheinend nicht dem tatsächlich ausgeführten Brunnen entspricht, erscheint hier unter Zugrundelegung der von Bonanni überlieferten Werte10 eine Ergänzung zum obigen Vergleich angebracht:
Der Durchmesser des Mittelschachtes beträgt dort 23 palmi, die Stärke der Gänge einschließlich der Wände auf beiden Seiten (5 + 7 + 4 =) 16 palmi, für den hier zugrunde gelegten mittleren Durchmesser der Spirale ergeben sich also (23 + 2 × 7,5) = 38 palmi
Der Umfang des zugehörigen Kreises beträgt demnach u = 119,39 palmi
Nach der Darstellung Bonannis zu urteilen, durchläuft jede der Treppen 5 3/4 Umläufe und überwindet dabei eine Gesamthöhe von H = (105 + 125) = 230 palmi
Demnach beträgt die bei einer Umdrehung überwundene Höhe h = 230/5,75 = 40 palmi
Der dabei zurückgelegte Weg ist wiederum
l² = (119,39 palmi)² + (40 palmi)² = 15853,9721 palmi², d. h. l = 125,91 palmi
Dies ergibt als Verhältnis zur überwundenen Steigung h / l = 32 %
Fazit: Im Gegensatz zur oben geäußerten Vermutung hat die einzige tatsächlich für Lasttiere angelegte Doppelspiraltreppe also sogar eine recht erhebliche Steigung von 32 % und erreicht damit einen Wert, der noch deutlich über dem aus der vorliegenden St.-Peter-Zeichnung ermittelten mit ‘nur’ 28 % liegt. Es erscheint demnach also gut denkbar, dass die vorliegende Zeichnung ein Projekt für eine solche Doppelspirale festhält – wenn der Stich von Bonanni der Realität entspricht, worüber bisher keine Angaben zu erhalten waren: In verschiedenen Reiseführern u. ä. findet sich lediglich die Information, dass der Brunnen 62 m tief sei, 13 m Durchmesser habe (was sich offensichtlich auf den gesamten Bau bezieht) und jede Treppe 248 Stufen zähle.
76.2.1.1 Skizze zu einem Kegel des Daches
POSITION: links neben dem Kegel der Hauptzeichnung nahe dem oberen Blattrand
TECHNIK: Bleistiftskizze mit teilweise Ergänzung durch freihändige Feder
HAND: AD
Kommentar: Die Skizze stellt auf den ersten Blick nur eine Ergänzung zur nebenstehenden Hauptzeichnung dar und scheint zur Erfassung eines Maßes zu dienen, für das dort nicht mehr genügend Raum zu Verfügung steht.
Erst unter starker Beleuchtung zeigt sich, dass diese Bleistiftskizze mit derjenigen des Prismenkegels in der Blattmitte durch das Profil der Außenwand verbunden ist, dass sich in der Ausführung mit Feder ungefähr 1 cm rechts davon wiederholt. Damit stellt sich das Problem, dass in der – immerhin sehr sorgfältig ausgeführten und detailreichen – Bleistiftskizze das obere Geschoss zu fehlen scheint, denn der Prismenkegel selbst ist hier viel höher am Bau dargestellt als in der Ausführung der Zeichnung mit Feder. Es könnte also möglicherweise nach der schon sehr detaillierten Festlegung für Form und Größe des Oktogonturmes eine Planänderung stattgefunden haben, die diesen um ein Stockwerk erhöhte und damit die Gesamtproportionen des Baues erheblich veränderte. Aufgrund der nicht eindeutigen Bleistiftskizze gerade in diesem vermittelnden Bereich lässt sich diese Frage allerdings wohl nicht abschließend klären.
Immerhin liefern auch die Grundrissdarstellungen des Oktogonturmes auf Bl. 86r kaum ein Gegenargument gegen diese Vermutung einer ursprünglichen Eingeschossigkeit des Turmes: Denn gerade im Grundriss des Daches erscheinen dort die Fensteröffnungen des Balustradengeschosses nur als flüchtige, wie nachträglich eingetragene Skizzen.11
76.2.1.2 Profil eines Prismenkegels
POSITION: unten am linken Rand des rechten Blattdrittels; neben dem zugehörigen Detail der Hauptzeichnung
TECHNIK: freihändige dünne Feder ohne Hilfsmittel
HAND: AD
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 1 5/12“ / palmo romano bzw. palmo del modello
MASSSTAB: ungefährer Gesamtmaßstab der Zeichnung: 1 : 20
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Beispielwerte |
palmi
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mm | Maßstab | |||
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Gesimshöhe | 1 | 3/4 | = | 17 | → | 1 : 23 |
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Höhe des Karnieses am Fußgesims | [—] | 7/12 | = | 7 | → | 1 : 18 |
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Kommentar: Die Detailskizze zu dem nebenstehend in der Hauptzeichnung ausgeführten Prismenkegel gibt dessen Basis, Schaft und Gesims ohne die aufsitzende Kalotte mit Maßangaben und gegenüber der Hauptzeichnung leicht vergrößert im Profil wieder, offensichtlich, um eine Unklarheit in der Hauptzeichnung zu korrigieren, die einzelnen Leistenprofile deutlicher wiederzugeben und sämtliche Maße antragen zu können. Das Fehlen der Kalottenpartie, die in der Hauptzeichnung mit allen Maßen wiedergegeben ist, spricht für die Arbeitsökonomie des Zeichners.
76.2.2 Konsolgesims und Balustrade des Turmschachtes
POSITION: linke obere Ecke des rechten Blattdrittels
TECHNIK: vollständig freihändige, dünne Feder in hellem Braun
HAND: AD
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 6 7/12“ / palmo romano bzw. palmo del modello
MASSSTAB: kein fester Maßstab, Näherungswert ca. 1 : 32
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Beispielwerte |
palmi
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mm | Maßstab | |||
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Gesimshöhe | 6 | 7/12 | = | 40 | → | 1 : 37 |
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Abstand zwischen Konsolen | 2 | 1/2 | = | 20 | → | 1 : 28 |
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Kommentar: Die Skizze stellt in der üblichen Kombination aus Profilschnitt und Aufriss das den Innenschacht des Turmes oben abschließende Gesims mit seiner aufsitzenden Balustrade dar – eine Darstellung, die für die Herstellung des Modells weitgehend überflüssig, weil dort nicht sichtbar gewesen wäre. Außerdem ist es an sich bemerkenswert, dass selbst ein solches Detail im Abschluss eines Lichtschachtes noch so aufwendig gestaltet werden sollte. Maßangaben für die Baluster fehlen zwar, doch lässt sich annehmen, dass sie aufgrund einer möglichen ‘Standardisierung’ aus anderen Bereichen übernommen werden konnten.
76.2.3 Rahmenprofil der oberen Okulusfenster
POSITION: am linken Rand des rechten Blattdrittels, oberhalb der Mitte
TECHNIK: freihändige Federskizze in hellem Braun
HAND: AD
BEISCHRIFTEN / POSITION:
„B“ [Verweisbuchstabe] / am unteren Rand der Skizze
„L“ [Verweisbuchstabe] / rechts oben im Zwickelfeld des Rahmens
MASSANGABEN / GRUNDMASS: „p 2 11/12“ / palmo romano bzw. palmo del modello
MASSSTAB: Näherungswert für den Gesamtmaßstab 1 : 30
Bsp.: Gesamtbreite des ringförmigen Rahmenprofils: „p 2 11/12“ = 22 mm → 1 : 29,62
Kommentar: Die Darstellung gibt weniger als einen – den rechten oberen – Quadranten des quadratischen, eingetieften Wandfeldes in der Kombination aus Profil und Ansicht wieder, welches die Okuli des oberen Geschosses rahmt. Während der Verweisbuchstabe „B“ in der Hauptzeichnung ungefähr an entsprechender Steller erscheint, fehlt dort das „L“. Dafür ist durch einen mit Bleistift gezeichneten Halbkreis an der Innenseite die Kreisförmigkeit der Fensteröffnung angedeutet.
76.2.4 Bleistiftzeichnung eines Prismenkegels
POSITION: links vom Zentrum des rechten Blattdrittels; von der Hauptzeichnung teilweise überschnitten
TECHNIK: sehr sorgfältige Bleistiftzeichnung mit Lineal
HAND: B [fraglich] oder AD
Kommentar: Diese Zeichnung gibt in perfekter Orthogonalprojektion den Prismenkegel wieder, der in der Hauptzeichnung darunter in geringfügig verkleinertem Maßstab wiedergegeben ist. Die Darstellung unterscheidet sich von letzterer vor allem durch die Position des neben dem Kegel angeordneten Kandelabers, der etwas dichter herangerückt und deshalb durch die Basis des Prismenkegels teilweise verdeckt wird.
Die leichte, aber sehr sichere Ausführung des Kandelabers – ebenso wie die der Flammenschale auf der äußeren Balustrade des Oktogons in der Hauptzeichnung – lässt macht es zumindest wahrscheinlich, dass Teile der Zeichnungen auf diesem Teilblatt nahezu vollständig vom ‘Bleistiftzeichner’ B ausgeführt wurde: Man vergleiche den deutlichen Qualitätsabfall in der Darstellung der Spindelrampe in der Hauptzeichnung mit den feiner ausgeführten Details.