3. Entstehungszeit vor 1547
These
Die Zeichnungen des Codex Destailleur D, vor allem aber diejenigen zum St.-Peter-Projekt Sangallos, entstanden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Herstellungsprozess des Modells, also bis spätestens einschliesslich 1546, oder stellen Kopien nach Vorlagen aus der Werkstatt dar — nicht oder nur in sehr eingeschränktem Massen jedoch nach dem Modell selbst.
Begründung
Nach 1546 hatte der Zeichner anscheinend keinen Zugang mehr zu diesen Quellen, was auf seine Abwesenheit von Rom schliessen lässt. Dementsprechend müssen seine Antikenstudien ebenfalls zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen sein. Sollte der Zeichner mit dem 'Guielmo franciosio' in den Akten der Fabbrica identisch sein, so wäre seine Anwesenheit in Rom bis ca. Mitte 1547 nachgewiesen, jedoch nicht länger, was sich also mit der hier als These formulierten Schlussfolgerung aus den Darstellungen seiner Zeichnungen in Übereinstimmung bringen liesse. Der Zeichner nimmt viele Veränderungen, die sich am St.-Peter-Projekt ausweislich der Zeichnungen des Sangallo-Umkreises in den Uffizien ergeben haben, und am Modell selbst, in den Stichen Labaccos zum St.-Peter-Projekt Sangallos oder sogar am Bau nachweisbar sind bzw. waren, nicht mehr in seine detailreichen Blätter auf. Als Ursache hierfür könnte zwar ein geradezu schlagartig auftretendes Desinteresse angenommen werden —das im schärfsten Kontrast zum vorher zu beobachtenden intensiven Interesse des Zeichners stünde und daher selbst wiederum erklärungsbedürftig wäre —, wahrscheinlicher dürfte jedoch eine Abwesenheit des Zeichners vor der Fertigstellung des Modells im Herbst 1546 und der Veröffentlichung der Stiche Labaccos durch Salamanca in den folgenden Jahren sein. Weitere Argumente liessen sich vermutlich aus den Veränderungen der aufgenommenen antiken Bauten ableiten, die sich auf die Folgejahre datieren lassen: So könnte besonders ein Vergleich des in den Zeichnungen dargestellten Zustands der Caracalla-Thermen mit den Materiallieferungen infolge der dort 1546–1547 begonnenen Abbrucharbeiten, für die sich umfangreiche Belege im Archivio storico der Fabbrica di San Pietro befinden, hier sichere Indizien liefern. Diesen umfangreichen Vergleich durchzuführen war bisher jedoch nicht möglich. So sprechen vor allem inhaltliche Gründe wie besonders die oben schon erwähnten deutlichen Abweichungen zwischen der Zeichnung auf Bl. 111r und dem dort weitgehend fehlerhaft dargestellten Kuppelfussgesims Michelangelos für eine Abwesenheit des Zeichners nach 1547.
Ein weiteres Indiz für die Richtigkeit dieser These liesse sich in dem Umstand sehen, dass die umfangreichen Antikenstudien anscheinend keinerlei Einfluss auf die im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zunehmende Publikation von Stichen antiker Monumente hatten — sie demnach den Autoren dieser Stiche vermutlich unbekannt oder zumindest unzugänglich gewesen sein dürften.