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9. Identifikation des Anonymus Destailleur

Bei dem bisher so genannten "Anonymus Destailleur", dem Hauptzeichner des Codex Destailleur D, handelt es sich vermutlich um einen in den Akten der Fabbrica di San Pietro mit 'Guielmo francioso' benannten Handwerker.

These

Mehrere Indizien sprechen dafür, dass der von Hermann Egger mit dem Notnamen 'Anonymus Destailleur' benannte Hauptzeichner des Codex Destailleur D mit dem in den Unterlagen der Fabbrica di San Pietro mehrfach erwähnten 'Guielmo francioso' zu identifizieren, über dessen Identität sich bisher jedoch kaum weitere Aussagen machen lassen. Da er jedoch durch die — im Wortsinne —federführende Teilnahme an der umfangreichen Vermessungskampagne zur Aufnahmen der antiken stadtrömischen Bauten mit weiteren Aktivitäten assoziiert werden kann, dürfte über die Untersuchung dieser Kampagne und ihrer Hintergründe vielleicht auch eine weitergehende Klärung seiner Identität zu erwarten sein.

Begründung

Aus dem bisher aufgrund der Notizen in den Zeichnungen Bekannten sowie der teilweise darauf beruhenden Thesen ergibt sich folgendes Profil des Anonymus Destailleur:

  • Er sprach Französisch, vermutlich als Muttersprache: Seine Mischung aus Französisch und Italienisch ist von der Forschung eindeutig als ein französisch verbrämtes Italienisch interpretiert worden: Eine solche 'Einfärbung' des Italienischen lässt sich nur erklären, wenn man annimmt, dass das Französische die Ausgangssprache des Schreibers ist: Eine hypothetische Erklärung als eine Art 'Rücksichtnahme' auf einen französischsprachigen Adressaten scheidet aus.
  • Er war über einen längeren Zeitraum (vermutlich mehr als zwei Jahre) in Rom anwesend: Diese Annahme resultiert aus einer groben Abschätzung des zur Herstellung der Zeichnungen notwendigen zeitlichen und organisatorischen Aufwands.
  • Die Anwesenheit an St. Peter beschränkte sich auf vermutlich deutlich weniger als zwei Jahre: Die Entstehungszeit der Zeichnungen (bis auf Bl. 78r/v) beschränkt sich einen Zeitraum, zu dessen Beginn die Planung des Modellprojekts in groben Zügen als abgeschlossen angesehen werden dürfte und der vor der eigentlichen Fertigstellung des Modells — bzw. dem Ende der Arbeiten daran, denn es kann im erhaltenen Zustand trotz aller Detailgenauigkeit nicht als fertig angesehen werden — im Sommer/Herbst 1546 endete. Die Zeit, in welcher der Zeichner Zugang zu den Planungsunterlagen hatte, dürfte sogar nur verhältnismässig kurz gewesen sein, da die geringfügigen Abweichungen der dargestellten Planungsstadien untereinander dies nahe legen.
  • Diese Tätigkeit lag vermutlich am Ende seines gesamten Romaufenthaltes (vgl. oben These 4: Dauer).
  • Er hat bei den Antikenzeichnungen mit ebenfalls französischen Mitarbeitern zusammen gearbeitet, deren z.T. nur leicht abweichende Handschriften sich in den Blättern des Codex Destailleur D und seines Umkreises finden: Hierzu gehören zumindest der sog. Kopist (KdAD) und der hier sog. Mitarbeiter (MdAD) des Anonymus Destailleur.
  • Er war vermutlich nicht Architekt, sondern eher Zimmermann (vgl. oben These 8: Zimmermann).

Im Vergleich dazu lässt sich zu dem in den Akten des Archivio storico der Reverendissima Fabbrica di San Pietro genannten 'Guielmo francioso' festhalten: 

  • Er war aufgrund seiner Bezeichnung in den Akten offensichtlich Franzose oder zumindest französischsprachig.
  • In den Akten der Fabbrica lässt er sich — mit Unterbrechungen — für den Zeitraum von Anfang 1545 bis Mitte 1547 nachweisen.
  • Er arbeitete jedoch nur im Jahre 1545 einige Wochen unter der Leitung Labaccos als Zimmermann, sein Zugang zu den Bauunterlagen dürfte sich auf diesen Zeitraum oder nur etwas wenig länger erstreckt haben.
  • Er erscheint danach in der ersten Jahreshälfte 1547 in der Gruppe, die in den Caracalla-Thermen tätig war, wobei besonders bemerkenswert ist, dass diese Gruppe nach seinem Verschwinden aus den Arbeitslisten noch über einen längeren Zeitraum dort tätig war.
  • Er wird zumeist gemeinsam mit — wechselnden — anderen Franzosen genannt, mit denen er aber das auffällige Merkmal gemeinsam hat, häufig nicht wie alle anderen Arbeiter die gesamte wöchentliche Arbeitszeit als anwesend verzeichnet zu sein, sondern in der Regel einen Tag weniger.
  • Er lässt sich entsprechend seines Einsatzes und seiner Bezahlung nicht als Architekt oder Zimmermannsmeister, sondern nur als einfacher Arbeiter mit Zimmermannskenntnissen charakterisieren.

Dies alles legt nahe, dass es sich bei dem 'Guielmo francioso' in den Akten der Fabbrica um den Anonymus Destailleur handelt: Nicht nur konnte bisher kein bekannterer französischsprachiger Architekt oder Stecher überzeugend mit dem Anonymus identifiziert werden, sondern es erscheint auch in den Unterlagen der Fabbrica sonst niemand auf, auf den sich die oben gegebene Charakterisierung anwenden liesse.

Zudem machte eine solche Identifizierung des Anonymus Destailleur mit einer eher 'unbedeutenden' Person verständlich, warum sich weder Nachrichten über seine Vermessungstätigkeit der antiken Bauten an prominenter Stelle erhalten zu haben scheinen, noch er in den Zeichnungen des engeren Sangallo-Umkreises erscheint: Als Zuarbeiter und 'Gehilfe' war er offenbar zu unbedeutend, um entsprechende Spuren im engsten Umkreis des Leitenden Architekten zu hinterlassen, aus dem die Blätter der Uffizien stammen. Für diese lässt sich mit guten Gründen annehmen, dass sie sozusagen im privaten 'Büro' oder 'Studio' des Architekten entstanden und nicht in die Fabbrica oder die Zimmermannswerkstatt gelangten, wo ihre Verwendung zu entsprechendem Verschleiss oder vermutlich sogar Verlust geführt hätte: Tatsächlich scheinen sich aus dem Bauzusammenhang selbst — neben den Zeichnungen des Anonymus Destailleur — ja keine Blätter erhalten zu haben, während sich diejenigen aus den Uffizien durch ihren Entwurfscharakter oder aber die erkennbaren pentimenti als noch nicht oder nicht mehr für die Weiterverarbeitung in der Fabbrica ansehen lassen.

Ein unscheinbares Indiz aus den Unterlagen der Fabbrica di San Pietro könnte diese Annahme zusätzlich stützen: In den Tagewerkslisten sowohl der Zimmerleute, die unter Labacco mit der Herstellung des Modells und der Lehrgerüste beauftragt waren, als auch der Arbeiter, die in den Caracalla-Thermen unter der Leitung von Meister Nardo, einem Verwandten Sangallos, arbeiteten, sind 'Guielmo francioso' und die mit ihm gemeinsam genannten Franzosen nahezu durchgehend mit weniger Arbeitstagen pro Woche als ihre übrigen Kollegen vertreten: Während letztere i.d.R. 6 Tage pro Woche arbeiteten, wird Guielmo oft nur an 5 Tagen, gelegentlich sogar noch seltener verzeichnet. Es erscheint denkbar, als Ursache hierfür eine anderweitige, zusätzliche Beschäftigung anzunehmen. Im Falle sowohl St. Peters als auch der Caracalla-Thermen wäre es daher eine naheliegende Vermutung, dass Guielmo die durch die Bauarbeiten gegebenen guten Möglichkeiten zur Vermessung der Bauten oder zur Anfertigung von Kopien nach vorhandenen Zeichnungen nutzte: Im Falle der Caracalla-Thermen wäre es z.B. vorstellbar, dass der Zimmermann Guielmo bei der Errichtung von Gerüsten beschäftigt war, die für Teilabrisse sicherlich notwendig waren und ihm zugleich Zugang zu den höhergelegenen Bauteilen ermöglichten.

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