7. Lichtführung
These
Die Zeichnungen zeigen ebenso wie das Modell, dass der Innenraum des auszuführenden Baus sehr dunkel geworden wäre — genau dies wurde u.a. von Michelangelo kritisiert. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Fehler oder Irrtum Sangallos, sondern — wie viele Einzelheiten und Detailveränderungen in den durch die Zeichnungen des Codex Destailleur D nachweisbaren Planungsstufen zeigen — um einen offenbar bewusst herbeigeführten Zustand, der sich zwar möglicherweise aus der 'Not' der beabsichtigten statischen Stabilität des Gesamtbauwerks ergab, letztlich als ästhetische Konsequenz jedoch beabsichtigt gewesen sein dürfte: Ihre Funktionalität im Zusammenhang mit der Nutzung des Innenraums lässt sich als 'Lichtregie' in einem Sinne bezeichnen, wie sie erst von den Baumeistern des Barock in grösserem Maßstab eingesetzt wurde. [Dass Sangallo sich mit Problemen der Lichtführung beschäftigt hat, klingt auch in einer Äusserung Hubertus Günthers an, der "die Experimente Antonio da Sangallos mit der Lichtführung" [Günther 1988.2, S. 237] erwähnt, allerdings ohne deutlich zu machen, auf welche Bauten er sich hier möglicherweise bezieht.]
Begründung
Eine Vielzahl von konstruktiven und entwerferischen Massnahmen Sangallos scheinen direkt darauf ausgerichtet gewesen zu sein, den Innenraum partiell zu verdunkeln: Verfolgt man dabei, welchen Teilen Licht entzogen und welche besonders beleuchtet werden, so kristallisiert sich ein Schema heraus, das in einer eindeutigen Hierarchisierung der Raumelemente, Blickachsen und Überschneidungen besteht, welche in der am stärksten hervorgehobenen Beleuchtung des Petrus-Grabes gipfelt: Neben den Apsiden als den Enden des von Haupt- und Querschiff gebildeten griechischen Kreuzes werden durch die Fenster über den Nebeneingängen sowie die diesen axial annähernd entsprechenden grossen Lichtöffnungen in den Haupttonnen die Nebenarmachsen, allerdings schwächer, beleuchtet. Die an ihren Kreuzungspunkten liegenden Nebenkuppeln bleiben sogar ohne eigenes Licht, obwohl eine Scheitelbeleuchtung durchaus realisierbar gewesen wäre, wie gerade aus einer Schnittdarstellung des vorliegenden Codex' deutlich wird. Auf diese Weise erhält das von den Nebenarmen gebildete, den Zentralraum umlaufende Quadrat weniger den Charakter eines die Endpunkte als Ruhestationen verbindenden Systems als vielmehr eine Betonung des Wegecharakters, der den hier möglichen Umgangsprozessionen sicherlich entgegenkam.
Zugleich lässt dieser Teil der Lichtführung eine selbst auch nur geringfügige 'Konkurrenzsituation' zwischen Haupt- und Nebenkuppeln gar nicht erst aufkommen: Die Hauptkuppel und damit das unter ihr liegende Petrusgrab bleibt eindeutiges und einziges Zentrum des Gesamtensembles. Auch nach aussen hin treten die Nebenkuppeln — ganz im Gegensatz zur Intention der von Michelangelo künstlich hervorgehobenen Aufbauten — nicht in Erscheinung.
In der Hauptkuppel wiederum sind im Tambour zusätzliche Lichtschächte eingeschnitten, die das einfallende Licht direkt auf das Petrusgrab leiten: Auch wenn aufgrund der geographischen Breite kein direkter Einfall des Sonnenlichtes durch diese vergleichsweise steilen Schächte auf das Zentrum möglich gewesen wäre, so reichte das indirekt einfallende und an ihren Wänden gebrochene Licht —und zwar erst vor dem Hintergrund der weitgehenden Verdunkelung des restlichen Innenraums — sicherlich aus, das Petrusgrab in ein den Eintretenden hell erscheinendes Licht zu tauchen und somit dessen einzigartige Bedeutung zu betonen. Ein geschlossener Baldachin über dem Grabaltar wie derjenige Berninis hätte diesen Effekt jedoch zunichte gemacht, und es scheint demnach kein Zufall zu sein, dass in keinem der Entwürfe für das Modellprojekt eine Kleinarchitektur über dem Altar auch nur angedeutet ist, obwohl in der Apsis von Alt-St.-Peter immer ein kleiner Baldachin seit der Spätantike über dem Grab und dem Altar gestanden hatte.